Gift giving and the "embedded" economy in the ancient world
Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Akademie-Konferenzen Bd. 17

Seit fast 100 Jahren ist die Idee von Marcel Mauss (1872-1950) über die Gabe als Austauschprinzip archaischer Gesellschaften Teil ökonomischer, juristischer, religiöser, politischer und sozio-morphologischer Untersuchungen bis in die Gegenwart hinein. Vorliegender Band revidiert mit seinen vielschichtigen Beiträgen nun diesen Ansatz und fordert unter veränderten Aspekten einer Ökonomiebetrachtung der Antike und ihrer Institutionen zu neuen Überlegungen heraus.

Die beiden Herausgeber des Buches Filippo Carlà und Maja Gori skizzieren in ihrer vollumfänglichen „Introduction“ (S. 7-47) den bisherigen Forschungsstand, formulieren mögliche Forschungsfragen und erklären daraus resultierend den Aufbau des Sammelbandes: fünf Artikel rekapitulieren die wissenschaftsgeschichtliche sowie theoretische Beschäftigung mit der Gabe im Kontext von Schenkung, Tausch und Ökonomie („Section 1. Gift Giving, Gift Exchange, Gift Economy“, S. 51-153). Die sozialen Strukturen, in denen die Gabe Relevanz entwickelt hat, fasst das Kapitel 2 – wiederum in Form von fünf Beiträgen – zusammen. Almosentätigkeit und Euergetismus sind die Stichworte, die vor allem kritisch aufgegriffen werden; juristische Fragestellungen werden ebenfalls unter diesem Abschnitt subsumiert (Andreas M. Fleckner, Marta Garcia Morcillo) („Section 2. Gift and Society“, S. 157-266). Die Gabe im religiösen Umfeld steht im Fokus des dritten Kapitels, in das vier Untersuchungen aufgenommen worden sind. Hortfunde, Schenkungen bzw. Weihungen und Abgaben ab der Bronzezeit werden bis zur Entwicklung eines modernen Kreditwesens im Mittelalter interpretiert („Section 3. Gift and Religion“, S. 269-351). Die Gabe selbst untersuchen drei Abhandlungen („Section 4. The Object Gift“, S. 355-437). Indices wurden für den Konferenzband nicht erstellt, und die Literaturangaben in den Fußnoten sind erfreulicherweise durchweg vereinheitlicht. Nur die Seitenangabe zu Mauss‘ Essai sur le don. Forme et raison de l’échange dans les sociétés archaïques lautet mehrfach fälschlich 196 statt korrekt 186. Allen Beiträgen ist gemein, das starre Mauss’sche System des entweder Gabentauschwirtschaft oder Marktwirtschaft aufzubrechen, jedoch mit unterschiedlicher Intensität. Am weitesten geht hierbei wohl Michael L. Satlow in seinem Aufsatz „Markets and Tithes in Roman Palestine“ (S. 315-335), der Mauss‘ Überlegungen mit Hilfe des aus der Antike überlieferten Materials widerlegt und in dessen Modell der Gabentauschwirtschaft ein Vehikel zur Kritik an der modernen Ökonomie des frühen 20. Jahrhunderts sieht. Mauss´ Ansätze versteht er daherkommend mehr als Inspiration und fordert, sich tiefer gehend objektbezogen mit der „Gabe“ auseinanderzusetzen, und dabei Mauss und seine konzeptionellen Nachfolger hinter sich zu lassen.

Vor allem der wissenschaftsgeschichtliche Teil bleibt in diesem Band unscharf: Beispielsweise hält Beate Wagner-Hasel („Karl Bücher and the Birth of the Theory of Gift-Giving“) alternativlos an dem Konstrukt des „Geschenkeaustauschs“ fest (S. 51-69), während es Marcel Hénaff („Is There Such a Thing as a Gift Economy?“, S. 71-84) aus ökonomischen Überlegungen heraus verwirft. Gemeinsam ist beiden, sich von der wissenschaftstheoretischen Seite älterer Untersuchungen kommend der Fragestellung des Bandes angenähert zu haben, von denen man nach der Lektüre dieses Sammelbandes gewillt ist, größeren Abstand zu nehmen und erwarten möchte etwa die Themen der Arbeiten von Moses I. Finley unter einem veränderten Forschungsstand umgeschrieben, neu monografisch vorgelegt zu bekommen. Die Untersuchungen von David Reinstein („The Economics of Gift“, S. 85-101), Lucio Bertelli („The Ratio of Gift-Giving in Homeric Poems“, S. 103-134) und Koenraad Verboven (“’Like bait on a hook’. Ethics, Etics and Emics of Gift-Exchange in the Roman World”, S. 135-153) bieten dank ihrer fokussierten Sicht auf einzelne Fragestellungen wie Leiturgien, homerische Begriffe für „Geschenke“ und dem Marktcharakter innerhalb der römischen Welt bedenkenswerte Diskussionspunkte für eine Revision des antiken Marktverständnisses. Den drei letztgenannten Verfassern ist ergänzend der Beitrag von Thomas Blank („Philosophy as Leitourgia. Sophists, Fees, and the Civic Role of paideia“, S. 377-402) zuzuordnen, der auf die besondere Form der Leiturgie des 4. Jahrhunderts v. Chr. in Athen aufmerksam macht, im Band aber in „Section 4“ eingeordnet worden ist.

Gesellschaftspolitisch bleibt die Funktion der Gabe nach der Lektüre dieses Bandes unbestimmt. Die hier versammelten Artikel konzentrieren sich auf Effekte des Euergetismus, dies aber stärker beschreibend denn mit weitergehenden Fragestellungen verbunden. Rechtliche Regelungen eigens in Anwendung auf die „Gabe“ lassen sich aus dem gegenwärtigen Forschungsstand nicht herauslesen.

Erhellend sind die vier Abhandlungen zu Gaben im religiösen Umfeld: Maja Gori („Metal Hoards as Ritual Gift: Circulation, Collection and Alienation of Bronze Artefacts in Late Bronze Age Europe“, S. 269-288) unterzieht bronzezeitliche Hortfunde verschiedenen Deutungsmöglichkeiten und schlägt vorsichtig formuliert vor, hierin den Übergang von einer ökonomischen Handlung zu einem System mit Prestige und gleichzeitigen sozialen Bindungen zu sehen. Zu vergleichbaren Ergebnissen, ausgehend von Befunden aus dem Nahen Osten, kommt auch Luca Peyronel („Between Archaic Market and Gift Exchange: the Role of Silver in the Embedded Economies of the Ancient Near East During the Bronze Age”, S. 355-375). Irene Berti („Value for Money: Pleasing the Gods and Impressing Mortals in the Archaic and Early Classical Age“, S. 289-313) widmet sich den Gaben an die altgriechischen Heiligtümer und den dabei existierenden komplexen Netzwerken. Abgaben und Marktgeschehen im römischen Palästina interpretiert Michael L. Satlow („Markets and Tithes in Roman Palestine“, S. 315-335), während Luigi Canetti („Christian Gift and Gift Exchange from Late Antiquity to the Early Middle Ages“, S. 337-351) ökonomische Güter der christlichen Kirchen bis zur Entwicklung des mittelalterlichen Kreditwesens thematisiert. Hieran schließt sich Filippo Carlà („Exchange and the Saints: Gift-Giving and the Commerce of Relics“, S. 403-437) an, der die Reliquie als Tauschobjekt und Handelsware vorstellt.

Der Sammelband macht deutlich: Marcel Mauss‘ Deutung der „Gabe“ verliert bei Betrachtung der unterschiedlichen (seit der Abfassung seiner Schrift neu hinzu gekommener) Quellen an Grundlagen; es bleibt eine im Kern originelle, die Altertumswissenschaften lange Zeit prägende Vorstellung von den ökonomischen Verhältnissen in der Antike. Die neuen Ufer, zu denen bei einer weiterführenden Beschäftigung mit dem Konzept der „Gabe“ aufgebrochen werden sollte, sind in dem vorliegenden Band Gift Giving and the ‚Embedded‘ Economy in the Ancient World skizziert und zum weiteren Dialog wärmstens empfohlen.