Archäologie
100 Seiten

Archäologie lässt sich einfach als die Beschäftigung mit Dingen beschreiben, die uns Menschen früherer Zeiten hinterlassen haben. Dass diese Definition bei weitem zu kurz greift, stellt Kurt Wallat auf 100 Seiten in seinem „Archäologie“-Band richtig. Es ist ein Buch aus der Praxis heraus konzipiert, mit vielen anschaulichen Beispielen und in einem sehr gut zu lesenden, teilweise plauderhaft anmutenden Duktus geschrieben. Der Autor ist als Ausgräber in Pompeji (der Ort, auf den er wiederkehrend eingeht) mit der Feldarbeit bestens vertraut, und seine editorischen Tätigkeiten lassen ihn den richtigen Ton treffen, seinen Kenntnisreichtum für ein interessiertes Publikum adäquat zu vermitteln.

Der Einstieg geling Wallat, indem er seine Leserschaft bei allgemein Bekanntem über Archäologie abholt – und gleichzeitig differenziert, dass Saurierknochen zur Paläontologie und Mumien zur Ägyptologie gehören und daher in diesem Band nicht abgehandelt werden. Anhand mehrerer Beispiel aus der Wissenschaftsgeschichte umreißt er Raum und Zeit, mit dem sich (Klassische) Archäologen beschäftigen (können) und macht mit wichtigen Ausgräbern wie Ernst Curtius oder Arthur Evans bekannt. Ausgespart bleiben an dieser Stelle und folgend durchweg die Archäologien Amerikas wie auch die eurasische Urgeschichte. Anschließend skizziert er ausgehend vom Europa des 18. Jahrhunderts die Entwicklung des Faches, das sich vom „Beute“ machen (S. 27) zu einer inzwischen hoch technisierten universitären Disziplin ausgebildet hat. Die Anbindung der Archäologie an Hochschulen weltweit hat zur Folge, sich stark im Umfeld sog. Nachbardisziplinen zu bewegen. Wallat zieht die Verbindungen zur Geschichts- und Kunstwissenschaft (S. 32-33), zur Klassischen Philologie (S. 33-34), zur Epigrafik und Papyrologie (S. 34-36), zur Numismatik (S. 36-37), zu den naturwissenschaftlichen Gebieten Geologie und Vulkanologie (S. 37-40), etwas später im Buch noch zur Bauforschung, Architektur und Statik (S. 59). Die Bedeutung von Medizin, Anthropologie und Botanik wird von ihm später aufgegriffen (S. 66-69), gleiches gilt für die digitale Rekonstruktion von Befunden als Digitale Geisteswissenschaften (oder Digital Humanities) (vgl. unten).

Wallat wendet sich dann den Aspekten der eigentlichen Grabungstätigkeit zu: Wie können Erkenntnis bringende Grabungsflächen ausgemacht werden (hier fallen die Stichwörter Luftbildarchäologie, Radargeräte und Metalldetektoren), welche Gerätschaften verlangen eine Ausgrabung bzw. eine Freilegung und wie sind Unterwasseruntersuchungen organisiert. Allerdings sind seine Bemerkungen zur digitalen und analogen Fotografie redundant (S. 55 und nochmals S. 56: Die Digitalfotografie kann mit der analogen Technik nicht mithalten). Der visuellen Aufbereitung der Funde im Museum und/oder als digitale Computeranimation widmet er einen vergleichsweise langen Abschnitt (S. 59-64) und unterstreicht damit die zunehmende Bedeutung, die computergestützten Modellen zukommt.

Zu welchen Erkenntnissen die Archäologie befähigt, diskutiert er in den nachfolgenden Abschnitten. Gesellschaft und Umwelt zu rekonstruieren, ist bei Wallat Hauptanliegen der archäologischen Interpretation; seinen Blick richtet er dann auf Kriegsverluste archäologischer Grabungen durch insbesondere den Zweiten Weltkrieg. Kurz streift er noch den Schutz und die Ergänzung antiker Bauten (S. 77-78).

Archäologie und Öffentlichkeit ist das letzte Kapitel überschrieben (S. 79-100), in das Archäologische Parks und Museen, Bücher, Fernsehdokumentationen, Filme, Pseudowissenschaft und Esoterik sowie die experimentelle Archäologie nebst moralische Aspekte beim Umgang mit sterblichen Überresten Eingang gefunden haben. Hierzu seien einige Anregungen gegeben: Im Abschnitt Bücher erklärt sich „naserümpfend“ nur aus Sicht einiger Archäologen, ein Umstand, der aus dem Text aber nicht unmittelbar zu erschließen ist (vgl. S. 82). Neutraler kann zwischen Sach- und Fachbuch differenziert werden. Der positiven Darstellung Wallats von Dokumentationen im Fernsehen sollte mit Vorsicht begegnet werden (vgl. S. 84); selbst fachwissenschaftliche Beratung schützt nicht vor einer verkürzenden und einhergehenden falschen Aufbereitung von Themen, wie zahlreiche negative Beispiele besonders angloamerikanischer Produktionen belegen. Fehler etwa der Szene eines Festmahlgastes in voller Legionärsrüstung am Tisch müssen benannt werden, da eine nicht vorgebildete Leserschaft hierin nicht zwangsläufig Fehlerhaftes entdecken kann (vgl. S. 85). Weshalb Wallat den Namen Erich von Dänikens im Kontext seines Kapitels Esoterik ausdrücklich verschweigt, aber seine Thesen wiedergibt, ist weder wissenschaftlich noch inhaltlich nachvollziehbar. Wenn der Verfasser den Komplex Esoterik als Unsinn einstuft, kann er dies doch einfach schreiben und Ross und Reiter benennen. Besucher einer archäologischen Stätte auf ihre Kaufkraft zu reduzieren, ist eindimensional (vgl. S. 92-93); archäologische Ausstellungen bewirken weit mehr, da sie beim Betrachter Interesse an Vergangenem und den kulturellen Wurzeln wecken und somit altertumskundlichen Fächern nachhaltig eine aktuelle, gesellschaftliche Relevanz geben. Die Trennung zwischen „Wissenschaftler“ und „Betrachter“, wobei der erstere „emotionslos und nüchtern mit Maßstäben der Forschung“ agiert, während letztere sich „vor den Glasvitrinen“ „drängen“ (S. 92) erscheint dem Rezensenten stereotyp und in Bezug auf die Wissenschaft idealisiert. Die „Restauration“ auf S. 77 wird in der Gegenwartssprache vor allem als historisch-politischer Begriff verstanden; die „Restaurierung“ ist der etablierte Begriff (vgl. z. B. Fachzeitschrift für Restaurierungspraxis; BA-Studiengang Archäologische Restaurierung in Mainz oder Duden Online, s. v. „Restauration“: „Gebrauch veraltend, noch landschaftlich“). Diese Einlassungen spiegeln die Vielfalt archäologischer Ansätze und Erfahrungen wider; an der Einschätzung, mit dem Buch eine lesenswerte und fundierte Einführung in den großen Bereich der (Klassischen) Archäologie in den Händen zu halten, ändern sie nichts.