Vorliegende Nummer 41 der Sonderschriften des Deutschen Archäologischen Instituts, Abteilung Kairo ist Sammelband des im Juni 2015 abgehaltenen IWH-Symposiums „The Ramesside Period in Egypt: Studies into Cultural and Historical Processes of the 19th and 20th Dynasties“. Sabine Kubisch und Ute Rummel haben 18 Beiträge herausgeben können, die inhaltlich/thematisch einen begrüßenswert breiten Überblick über die sog. Ramessidenzeit geben. Namhafte WissenschaftlerInnen haben ihre aktuellen Untersuchungen zu Archäologie, Philologie, Kultur- und Religionsgeschichte der 19. und 20. Dynastie vorgelegt, die teils sehr kleinteilig gehalten sind, aber im Zusammenspiel mehrerer thematisch verwandter Artikel den Fokus auch auf örtlich wie zeitlich übergreifende Fragestellungen richten. Dies wird beispielsweise bei der von Henning Franzmeier und Jan Moje aufgegriffenen Frage nach den (fehlenden) ramessidischen Bestattungen der damaligen Eliten in Ramsesstadt deutlich. Das Königshaus wie auch die hohe Beamtenschaft bevorzugten Theben, Memphis und kleinere Gauhauptstädte als Orte für ihre Grablege, sodass der Eindruck entsteht, Piramesse war zwar Arbeits-, nicht aber Wohnstatt. Erst am Ende der 20. Dynastie ändert sich dieses Bild vielleicht im Zuge erster Königsbegräbnisse in Unterägypten (S. 113-126). Diese Fragen aufgreifend zeichnet Maarten J. Raven ein detailliertes Bild von der Belegung der memphitischen Nekropole Saqqara. Seinen Schwerpunkt legt er auf die verschiedenen architektonischen und flachbildlichen Ausführungen, wobei er Entwicklungstendenzen aufzeigt (S. 239-248). Der thebanischen Grabkunst widmet sich Ute Rummel. Ausgehend vom Grabkomplex der Hohepriester des Amun Ramsesnacht (K93.11) und seines Sohnes Amenophis (K93.12) in Dra Abu el-Naga geht sie der Frage nach, wie sich in der Bauausführung politische und ökonomische Prozesse verschiedener Epochen ägyptischer Geschichte ablesen lassen (S. 249-275). Eva Hofmann wirft einen Blick auf die Vorhöfe thebanischer Gräber und weist mithilfe aufgefundener Relieffragmente nach, dass dort in der Ramessidenzeit ein erstarktes Repräsentationsbedürfnis in Anlehnung an die Voramarnazeit zur Schau gestellt wurde (S. 149-176). Die Möglichkeiten der Selbstdarstellung von Grabinhabern in der dekorativen Kunst in der Zeit des Neuen Reiches untersucht Tamás A. Bâcs anhand thebanischer Friedhöfe (S. 15-32).
Peter J. Brand stellt anhand einer umfassenden Analyse überzeugend dar, dass die Reliefdarstellungen auf den Säulen des Hypostyls in Karnak einem Grundmuster mit großem Variantenreichtum folgen, das erst am Ende der 20. Dynastie mit der vollständigen Ausschmückung der Säulenhalle abgeschlossen ist und dessen Konzept sich bis in die Bauausführung der ptolemäischen und römischen Zeit nachverfolgen lässt (S. 45-61).
Irene Forstner-Müller diskutiert anhand neuerer Forschungen aus unterägyptischen Gebieten die politischen Verhältnisse während der Ramessidenzeit (S. 103-112). Unter Einbeziehung einer Vielzahl materieller Hinterlassenschaften aus funerären Kontexten verdeutlicht Kathlyn M. Cooney, wie politische Krisen anhand einzelner Denkmälergattungen Spuren hinterlassen haben. Äußerst detailliert präsentiert sie hierzu eine Auflistung wiederverwendeter Särge (S. 64-87). Die Unterschiede in Form, Ausführung und Herstellung der thutmosidischen und ramessidischen Keramik hat Susanne Michels zu ihren Überlegungen bewogen, welchen Einfluss Handwerker auf die Produktion ihrer Ware hatten (S. 217-225). Mit den Ortsnamenslisten Ramses´ III. in Medinet Habu setzt sich Dan’el Kahn auseinander und rekonstruiert die Gebietseroberungen des Pharaos (S. 173-188).
Jan Assmann modifiziert in seinem Beitrag Erik Hornungs Konstruktion des „Einen“ und der „Vielen“ zu einer Existenz eines „Supergott[es] hinter den Göttern“ als „Beitrag der Ramessidenzeit zur religiösen Evolution“ (S. 3-13). In einem kurzen, aber sehr dichten Aufsatz skizziert Maria Michela Luiselli die gelebte religiöse Praxis im Umgang mit Kindern während der Ramessidenzeit. Religiosität wird nach Auffassung der Autorin spielerisch vermittelt (S. 205-216).
Die ramessidische Gesellschaft und die Methoden, um ihre Strukturen tiefgreifend untersuchen zu können, thematisiert Gregor Neunert in seinem Aufsatz (S. 227-237). Die Hohepriester des Amun während der 18. und 19. Dynastie stehen im Mittelpunkt der Untersuchung von Sabine Kubisch. Anhand von Inschriften und Titelabfolgen jener Würdenträger stellt sie eine Verbindung zwischen Priesteramt und politischem Einfluss her (S. 189-203). Pierre Grandet prüft kritisch Inhalt und mögliche Vorlagen des Onomastikons des Amenemope, das aus der 21. Dynastie stammt und von dem knapp zehn Handschriften bekannt sind. Seine Überlegungen fasst er in einer Neubewertung administrativer Zuständigkeiten zusammen (S. 127-137).
Camilla di Biase-Dyson zeigt in ihrem Beitrag auf, wie während der Ramessidenzeit metaphorisch gebrauchte Begriffe in neue Kontexte gesetzt worden sind. Überzeugend und anschaulich kann sie dies anhand der Begriffspaare „heiß“ und „kühl“ und der Erweiterung „still“ mit zahlreichen Beispielen erläutern (S. 33-43). Die sog. Erzählungen der Ramessidenzeit sind Thema des Artikels von Christopher Eyre. Er behandelt ausführlich die komplexen Fragen nach Autorenschaft und Zielgruppe der Texte, und geht dabei kritisch die bisherigen Forschungsansätze an (S. 89-102). Einen Überblick über die Dechiffrierung der handschriftlichen, außerhalb des Hieroglyphenkanons verwendeten Zeichen der ramessidenzeitlichen Schreiber von Deir el-Medineh gibt Ben Haring. Die hieratischen Kurzschriften wurden ursprünglich als Besitzverweis oder als Urhebervermerk in der 18. Dynastie entwickelt und fortschreibend bis in die 20. Dynastie zu einer eigenen Art von Verwaltungsschrift ausgearbeitet, deren Verwendung Haring in die kulturhistorisch fassbare Entwicklung der Arbeiterschaft und ihrer Siedlung setzt.
Neben die Forschung zusammenfassenden Übersichten kann der mit zahlreichen Abbildungen, Plänen und Tabellen aufwendig gestaltete Band mit einer Vielzahl an aktuellen Ergebnissen aus der Wissenschaft aufwarten. In jedem Falle ist er für die Betrachtung der mehr als 200 Jahre andauernden Ramessidenzeit ein wertvolles, zahlreiche Forschungsansätze erweiterndes Kompendium, der darüber hinaus zahlreiche noch vorhandene thematische Lücken schließen hilft. Historische Prozesse lassen sich nach der Lektüre des Buches schärfer greifen, und politische, administrative und künstlerische Entwicklungen punktuell nachverfolgen.