Kontaktzone Vorderer Orient und Ägypten
Orte, Situationen und Bedingungen für primäre griechisch-orientalische Kontakte vom 10. bis zum 6. Jahrhundert v. Chr. Geographica historica; 38

Iris von Bredow setzt in ihrem Buch Kontaktzone Vorderer Orient und Ägypten kommunikationswissenschaftliche, soziokulturelle sowie soziotechnologische Methoden und Theorien ein, um die Strukturen und Zeiträume intensiven Kulturtransfers zwischen Griechen im Osten mit den dort ansässigen Zivilisationen zu untersuchen und abzubilden. Um das umfangreiche Material dieses Ost-West-Kontakts beherrschbar zu machen, schränkt die Verfasserin ihre Untersuchungen auf das 10.-6. Jahrhundert vor Christus ein - denn das „10. Jh. liefert die ersten archäologischen Beweise für solche Kontakte und im 6. Jh. veränderten sich die Kontaktsituationen durch die persische Eroberung Syriens und Ägyptens grundlegend“ (S. 11) – und schließt bestimmte Regionen wie Zypern und den westlichen Mittelmeerraum aus, da „viele komplexe Rezeptionen aus den großen Metropolen des Ostens gekommen sein müssten und nicht auf sporadische Kontakte in kleineren, peripheren Hafenstädten zurückgeführt werden können“ (S. 12); jedoch ist dieses Vorgehen unter archäologischen Gesichtspunkten und Erkenntnissen heraus fragwürdig. In erster Linie interessiert von Bredow hierbei der von ihr „primärer Kontakt“ genannte kommunikationsgestützte Kulturtransfer, nicht die sekundäre Rezeption, die dann im griechischen Mutterland einsetzte.

Ihre Untersuchung hat von Bredow in fünf Teile gegliedert: Die Historie Griechenlands, des Vorderen Orients und Ägyptens vom 12.-6. Jahrhundert vor Christus wird im ersten Teil skizziert (S. 15-139); eine Betrachtung der Quellen erfolgt im Teil zwei des Buches (S. 141-185); eine Klassifizierung der Kommunikationsstrukturen und der daraus resultierenden Rezeption wird im dritten Teil vorgenommen (S. 187-226); die Kontaktsituationen werden von der Verfasserin im vierten Teil herausgearbeitet (S. 227-338); abschließend die besprochenen Kulturräume auf ihre Intensität als Kontaktzone in Teil fünf ausgewertet (S. 339-359). Karten (S. 361-367), ein Literaturverzeichnis (S. 369-386) und ein Register (S. 387-394) sind an das Ende des Bandes gesetzt.

Der historische Abriss stützt sich auf eine Vielzahl von Untersuchungen renommierter Wissenschaftler, zumeist auf monografische Werke. Ausgeblendet bleiben dabei über Zeitschriftenartikel gegenwärtig geführte chronologische und kulturgeschichtliche Diskussionen. Das Literaturwerk zu den Reisen des Wenamun historisch auszuwerten, verlangt nach Ansicht des Rezensenten nach einer ausführlichen Darstellung und Erläuterung einer hierfür nutzbaren Systematik.

Als Ergebnis ihrer Auswertung der materiellen Quellen wie Keramik, Architektur, Relief und Ikonografie zeichnet von Bredow überzeugend verschiedene Entwicklungsstufen nach, die sich von einer Kulturdominanz des Ostens gegenüber Griechenland im 10. und 9. Jahrhundert vor Christus zu einer Angleichung der kulturellen Leistungen im 8. Jahrhundert verfolgen lassen. Dieses Phänomen lässt sich auch an den frühgriechischen literarischen Werken als sekundäre Quellen ablesen. Die Verfasserin zieht daher mit dem 8. Jahrhundert auch die Grenze zwischen Entlehnungen der Griechen aus der Kultur des Ostens früherer Zeiten und der Adaptionen sowie Akkulturation jüngerer Zeiten, die ein neues Griechentum herauszubilden helfen. Mit dem 6. Jahrhundert setzt dann beispielsweise in Ionien die Rezeption östlicher naturwissenschaftlicher wie weisheitlicher Texte ein.

Den abschließenden und umfangreichsten Teil ihrer Analyse widmet die Autorin den Kontaktsituationen. Der lang währende Aufenthalt der Griechen im Osten und der hinzutretende verbale Kontext fußen nach von Bredows Untersuchung zu einem Großteil auf dem griechischen Söldnertum, für das spätestens seit Psammetich I. (7. Jh. v. Chr.) eine gesicherte Beleglage (zumindest für den ägyptischen Raum) vorausgesetzt werden kann. Gestützt wird dies durch zahlreiche literarische Motive. Daneben stehen Handel und der technische Austausch als weitere Kulturbrücken im Fokus der Verfasserin. Durch Bildungsreisen griechischer Gelehrter sind diese Kontakte intensiviert worden. Die östlichen Kontaktzonen scheinen sogar das spätere griechische Recht beeinflusst zu haben, gilt den Griechen der ägyptische Herrscher Bokchoris (8. Jh. v. Chr.) als großer Gesetzgeber, der die Reformen Solons beeinflusst habe.

Die Herausbildung der griechischen Kultur sieht von Bredow erheblich durch die Ost-West-Kontakte inspiriert. Ihre sehr detaillierte, viele Kulturräume tangierende und verschiedene Quellen einschließende Untersuchung dokumentiert dies nachhaltig. Gewiss konnte die 2018 verstorbene Autorin nur einen Zwischenstand der Forschung abbilden, denn neuere Untersuchungen etwa zu der Materialherkunft der von ihr angeführten Artefakte werden die Kontaktwege, -intensität und -dauer ausdifferenzieren helfen. Überzeugend ist die vorgelegte Strukturierung des Bandes, der die Kontaktzonen Vorderer Orient und Ägypten mit dem frühesten Griechentum in einer umfangreich materialbezogenen und zugleich lesenswerten Monografie zusammenfasst.