Maxi Schreiber hat mir ihrer Dissertation Altägyptische Architektur und ihre Rezeption in der Moderne eine umfangreich recherchierte Analyse zur Verwendung altägyptischer Bauformen in Bauten, die zwischen 1900 bis 1933 in Deutschland entstanden, vorgelegt. Ihre Forschungsergebnisse hat sie hierfür in drei Hauptteile aufgetrennt: 1. eine kulturgeschichtliche Betrachtung auf Bauwerke und Denkmäler, die altägyptische Elemente aus der Grab- und Tempelarchitektur des alten Ägypten imitieren (S. 20-57); 2. Darstellung und allgemeine Bewertung altägyptischer Kunst und Architektur in Kunstgeschichte sowie Architekturtheorie, weiterführend das alte Ägypten als Thema der Bauforschung und Architekturkritik nebst ausgewählten Reiseberichten des Architekten Julius Meier-Graefe sowie des Architekturkritikers Werner Gegemann (S. 59-223); und 3. eine Aufstellung und Analyse von Bauten und Entwürfen, in denen Schreiber einen Einfluss pharaonischer Architektur erkennt (S. 249-334). Mit einem Fazit (S. 334-338), einem Ausblick (S. 339-356), Schlussbetrachtungen (S. 357-362) und einem Anhang (S. 363-408) einschließlich Quellen- und Literaturverzeichnis und Abbildungsnachweisen wird der Band abgeschlossen.
Schreibers Hauptthesen finden sich bereits auf dem Klappentext außen: Die Architektenschaft der Moderne habe sich durch die klare Architektursprache des alten Ägypten inspirieren lassen, woraufhin um 1900 ein Wendepunkt in der Rezeptionsgeschichte pharaonischer Bauten einsetzte. Schreiber verknüpft „Amerikadiskurs, Architektur und Archäologie“ anhand „Äußerungen und Artikel der Architekten“ „in den Architekturzeitschriften“ (Umschlag 4). Diese Quellen haben, obgleich teilweise Ägyptologen selbst in ihnen publizierten, bisher wenig Aufmerksamkeit im Fach Ägyptologie selbst gefunden. Schreibers Einbeziehung dieser Schriften beseitigt somit ein lang bestehendes Desiderat, und sie versteht es, auf dieser Grundlage in akribischer Detailarbeit die ägyptischen Vorbilder in der modernen Architektur heraus zu suchen.
Ziel ihrer Untersuchung ist dabei nicht, die Übernahme altägyptischer Motivik aufzuzeigen, sondern altägyptischen Baukonzepten nachzugehen, die unter den Stichworten „Monumentalität“ oder „Theatralik“ Eingang in die Architekturuntersuchungen der Moderne gefunden haben. Schreiber behandelt ihr Thema auf Grundlage der „Offenheit des Denkens in der Moderne“ und wird daher „an einigen Stellen den zeitlichen und räumlichen Rahmen verlassen“, den sie im Titel ihrer Arbeit formuliert hatte (S. 16). In ihrem chronologisch aufgebauten historischen Abriss widmet sie den ägyptisierenden Anklängen im Synagogenbau und der Revolutionsarchitektur ein eigenes Kapitel (S. 24-35). Ab 1900 werden demnach historische Stile verworfen und durch „Form und Funktion“ ersetzt (S. 38). Vor allem in Industriebauten finde die Massivität ägyptischer Tempelbauten und Grabbezirke Eingang. Mit abschließendem Blick auf das ambivalente Verhältnis Europas zu Amerika im Widerstreit zwischen Kultur und Zivilisation, leitet Schreiber in die Interpretationen altägyptischer Kunst in Architektur und Kunstgeschichte über. Prägend seien hierfür Wilhelm Worringers Werk Abstraktion und Einfühlung. Ihm stellt die Autorin Hugo Häring und seine Theorie eines organhaften Bauens entgegen und leitet über zu Paul Bonatz und Wilhelm Kreis, mit deren Nationaldenkmälern und im staatlichen Auftrag errichteten Bauten sie ihre Betrachtung abschließt.
Ihre Rückbezüge auf ägyptische Architektur sieht die Autorin vor allem durch Hedwig Fechheimer und Heinrich Schäfer begründet (vgl. S. 72-83). Im Folgenden führt sie hierzu aus, wie die Überlegungen der Ägyptolog/-innen zu ägyptischer Kunst das Verständnis der Architekten beeinflussten (vgl. S. 124-151) – dies verstärkt unter Einbeziehung auch mesopotamischer Monumentalarchitektur in Amerika (vgl. S. 151-177). Das Materialempfinden, vordergründig die Kombination von Lehm und Stein, thematisiert Schreiber anhand eines Reiseberichts aus Ägypten von Schütz-Wolf (vgl. S. 178-180).
Fasst man die theoretischen Grundlagen noch einmal zusammen, wie dies die Autorin auf den Seiten 186 bis 189 tut, ist das Ergebnis ernüchternd: Ausgenommen Friedrich Paulsen und Werner Hegemann findet sich keine tiefer gehende Auseinandersetzung mit altägyptischer Architektur in der Moderne und erst recht keine einheitliche Bewertung, die über eine „Etikettierung für kubische, geschlossene Formen“ pharaonischer Baukunst hinausgegangen wäre. Dieses Fazit verwundert insofern nicht, da seitens der Ägyptologie in dem von Schreiber behandelten Zeitraum 1900 bis 1933 in Deutschland eine Auseinandersetzung mit den materiellen Hinterlassenschaften des alten Ägypten erst noch entwickelt werden musste. Der Schwerpunkt der Forschung – und somit die Besetzung der deutschen Professuren – war an der Philologie Altägyptens interessiert und konnte von daher (wenn überhaupt) bestenfalls geringste Anstöße zu einem lebendigen Diskurs über altägyptische Bauformen geben. Es fehlten die notwendigen Grundlagenkenntnisse aus dem Wissenschaftsfach heraus, um eine Diskussion mit soliden Informationen zu befeuern. Dies hätte Schreiber in jedem Falle bei ihrer Untersuchung miteinbeziehen und anmerken müssen.
Dieses Manko zieht sich fort bis in ihren dritten, analytischen Teil, der daher weitgehend unbestimmt und deskriptiv bleibt, und sich auf Ansätze wie „Abstraktion“ und „Monumentalität“ ägyptischer Bauwerke in der Moderne reduzieren lässt. In dieser Besprechung folgt Rezensent Schreiber daher auch nicht, wenn sie beispielsweise in Hermann Billings Architektur Skizzen von 1903 „an altägyptische Baukunst“ erinnernde Motive wie „liegende Löwen und Obelisken“ mit denkmalartigen Zügen erkennt (S. 255). Gerade diese beiden Motive haben sich in der europäischen Interpretation schon lange Zeit zuvor von ihrem altägyptischen Ursprung gelöst und sind z. B. als Gräberdekoration wie auch über Rom (woher auch die beiden Objekte für Billings Skizzen stammen) in Verbindung zum Christentum beileibe kein ausschließlicher Ausdruck pharaonischer Denkmäler mehr, bestenfalls noch antikisierende Inspiration. Es ist Schreiber schlicht entgangen, dass das Ägyptenbild lange durch die Bibel geprägt wurde und die Bildinterpretationen darauf ausgerichtet waren; ein Umstand, den ihre Vorgeschichte zur Ägyptenrezeption trotz Analyse der Synagogenbauten leider nicht stark genug betont.
Im Index wie im Buch sucht man ferner vergeblich den Namen Tut-anch-Amun, wenngleich die Entdeckung seines Grabes 1922 eine langanhaltende „Ägyptomanie“ auslöste. Ebenso sollten die Konsequenzen der Niederlage Deutschlands aus dem Ersten Weltkrieg berücksichtigt werden, wo um 1900 andere Intentionen den Umgang mit historischen Bauformen prägten als in den späten 1920er Jahren. Ein Blick über nationale Grenzen hinweg, ausgerichtet auf weitere bildende Künste und Kunstformen (moderne Kunst, Design, Oper, Film) hätte für die theoretische Auseinandersetzung mehr Material für eine intensive Betrachtung derer gegenseitiger Wechselwirkung zur Verfügung gestellt. Dass Schreiber mehrfach die von ihr gesetzten Rahmenbedingungen (altägyptisch vs. mesopotamisch; Deutschland vs. Amerika; 1900-1933 vs. 1937-1941: Brooklyn, S. 318-325 oder Louis Kahn 1951-1965, S. 325-334) überschreitet, war von ihr bereits im Buch vorausgeschickt worden, dennoch bleibt unter der angegebenen Fragestellung der Autorin die Notwendigkeit dieser Überschreitungen aus der Lektüre der entsprechenden Absätze heraus vage.
Für die Architekturtheorie wirft Schreiber sicher die Methodenfrage auf, wie mit Rezeptionsgeschichte umzugehen ist. Für die Wirkungsgeschichte Altägyptens auf europäische, amerikanische und russische Kulturen steuert sie einen weiteren, nützlichen Baustein bei, der noch einiger weiterer bedarf, um schließlich für eine Gesamtschau zu taugen.