Die badischen Grabungen in Qarâra und el-Hibeh 1913 und 1914
Wissenschaftsgeschichtliche und papyrologische Beiträge (P. Heid. X)

Karâra (Hipponon) und el-Hibe (Ankyronon) sind seit Anfang des 20. Jahrhunderts gut bekannte Fundstellen zahlreicher hieratischer, demotischer und griechischer Papyri, die zumeist vom sog. koptischen – treffender: spätantiken – Friedhof der Region stammen. Die beiden Ortschaften im ehemals herakleopolitanischen Gau sind bereits mehrfach Ziele von verschiedenen Grabungskampagnen gewesen, bei denen neben den Schriftzeugnissen auch Särge und andere funeräre Gegenstände geborgen und nach Europa verschifft werden konnten. Seit 2011 sind die Ortschaften durch Plünderungen stark verwüstet worden, daher sind umfangreiche Veröffentlichungen älteren Grabungsmaterials höchst willkommen, um neu gerissene Forschungslücken zur Besiedlung der Region zumindest durch eine umfassende Aufarbeitung bereits vorhandener, aber noch nicht vollständig ausgewerteter Aufzeichnungen abzumildern.

Wolfgang Habermann zeichnet im vorliegenden Band verantwortlich für eine wissenschaftsgeschichtliche Nachbearbeitung der badischen Grabungen in Karâra und el-Hibe, die in den Wintern 1913 und 1914 stattfanden. Grabungstagebücher, das Fundjournal und darin enthaltene Notizen und Listen, Karten sowie Fotografien (S. 221-235), die in hervorragender Qualität wiedergegeben worden sind, geben ein vollständiges Bild der Kampagne. Der umfangreiche Fußnotenapparat schreibt die Funde der verschiedenen Grabungen einzelnen Objekten sicher zu und rundet akribisch recherchiert die Zusammenstellung der Grabungsgeschichte beider Orte ab (S. 5-20). Hierauf lenkt Habermann den Blick im Besonderen auf die beiden federführenden Organisationen der Kampagne: auf die erst 1909 gegründete Heidelberger Akademie der Wissenschaften und auf die 1911 ins Leben gerufene Wissenschaftliche Gesellschaft Freiburg i. Br. Hermann Ranke, Paul Hollander, Hans Abel, Friedrich Bilabel und Karl Breith zeichneten für den Erfolg der Untersuchungen verantwortlich. Im Zuge der Fundteilung zwischen den beiden deutschen Körperschaften und der ägyptischen Altertümerverwaltung kam es aufgrund der ausstehenden Auswertung der Texte zu einer Übersendung fast aller Papyri nach Heidelberg; eine eindeutige Identifizierung der Objekte in Freiburg bleibt hingegen problematisch. Habermann führt im Folgenden dann die Verwahrung der Fundstücke auf.

Kritisch beleuchtet er die Erstpublikation von Hermann Ranke, Koptische Friedhöfe bei Karâra und der Amonstempel Scheschonks I. bei el Hibe (Berlin 1926), wobei er vor allem die „vielfach knappen Beschreibungen der Objekte ohne Heranziehung von Vergleichsmaterialien“ (S. 30) bemängelt. Claudia Nauert hat, wie Habermann zu Recht ausführt, für die Koptika 1996 Abhilfe schaffen können. Wenn auch nicht ausdrücklich erwähnt, darf man in den Ausführungen hier ablesen, dass Habermann mit vorliegender Zusammenstellung nun auch die Verknappungen der übrigen Objekte auflösen will. Dies – so möchte Rezensent hier einschieben – kann der Grund für die auf den ersten Blick unverständlich anmutende Verknüpfung der Grabungsgeschichte mit einer philologischen Bearbeitung ausgewählter Papyri aus Heidelberger Bestand sein, die sich eher auf zwei Bände hätte aufteilen lassen, nun glücklicherweise aber doch in einem thematisch zusammenhängenden Buch erschienen sind.

Ergänzt sind die Abschriften der Grabungstagebücher („Die Versuchsgrabung im Jahre 1913“, S. 35-82; „Die Hauptgrabung im Jahre 1914“, S. 83-150) und des Fundjournals (S. 151-173) um Korrespondenzen, Akten und Berichte rund um die Kampagnen (S. 250-335), überblicksartige Zusammenstellungen sowie Skizzen der Ausgräber und Faksimiles einzelner Seiten der Aufzeichnungen. Da inzwischen erschienen, lassen sich die Unterlagen noch um die Korrespondenz der Grabungsteilnehmer mit dem Deutschen Archäologischen Institut in Kairo erweitern, die Susanne Voss im Forschungscluster 5 zur Geschichte des Deutschen Archäologischen Instituts im 20. Jahrhundert, Band 8,1 im Jahre 2013 vorgelegt hat. Diverse Indices erschließen den wissenschaftsgeschichtlichen Abschnitt Habermanns vorbildlich, hingegen die Literaturübersicht nur ausgewählte Werke berücksichtigt.

Auf nicht ganz 100 Seiten (S. 347-439) sind die Papyrus-Editionen von insgesamt neun Bearbeitern vorgelegt worden, die zusätzlich auf beigegebenen Tafeln in sehr guter Bildqualität abgedruckt worden sind. Die verschiedenen Urkunden sind mustergültig ediert, ohne an dieser Stelle auf jede einzelne eingehen zu wollen; bei Nr. 453 lediglich ist im Abbildungsteil das in Griechisch verfasste Verso mit dem in koptischer Schrift festgehaltenem Rekto vertauscht worden.

Die Aufarbeitung der Grabungsunterlagen hätte bereits 1996 erscheinen sollen, nun feiert der Band also die 100-jährige Wiederkehr der badischen „Versuchsgrabung“. Es ist ein dem Anlass würdiger Band geworden, der mit viel Akribie und gerade auch im editorischen Teil mit hohem Sachverstand fertiggestellt worden ist. Dass der Herausgeber Habermann mit der späteren Veröffentlichung ganz aktuell in die Diskussionen um Sein und Werden der Geschichte der Wissenschaften – speziell der „kleinen“ und archäologischen Fächer – gestoßen ist, darf für den vorliegenden Band als Glücksfall gewertet werden. Denn die vorgelegte Bearbeitung markiert eine Hürde, hinter die neuere Publikationen mit wissenschaftsgeschichtlicher Fragestellung nach Möglichkeit nicht mehr zurückfallen sollten.