Lehrbuch der klassisch-ägyptischen Sprache

Nimmt man die aktuelle Grammatik zur klassisch-ägyptischen (mittelägyptischen) Sprache von Hanna Henni in die Hand, fallen sofort zwei Punkte auf: 1. eine solide Verarbeitung mit Hartpappendeckel, die auf eine häufige Nutzung des Buches ausgelegt ist und 2. eine ansprechende Aufmachung, zum einen durch die fotografische Gestaltung des Covers mit der zum Erlernen der Hieroglyphenschrift thematisch verwandten Darstellung von vier altägyptischen Schreibern, zum anderen durch den als Hintergrundbild gewählten hieroglyphischen Text aus der Biografie des Ahmose aus Elkab, die oft als Anfängerlektüre im Unterricht gelesen wird und somit einen weiteren Bezug zum Lehrbuch herstellt. Auf den ersten Blick, äußerlich betrachtet, ist der Band zum Erwerb der „klassisch-ägyptischen Sprache“ also solide gearbeitet und bildsprachlich ansprechend gestaltet – „Sprache“ muss hierbei allerdings im lehrtechnischen Terminus verstanden werden, „da es sich beim Ägyptischen um eine tote Sprache handelt“ (S. 15).

Vorliegendes Buch steht in einer Reihe von Veröffentlichungen, die mit einem lehrbuchartigen Charakter die Grammatik der bekanntesten Sprachstufe der altägyptischen Hieroglyphenschrift zu vermitteln versuchen. Adolf Ermans Ägyptische Grammatik mit Schrifttafel, Litteratur, Lesestücken und Wörterverzeichnis kann als einer der frühen Vorreiter mit inzwischen forschungsgeschichtlicher Bedeutung gelten; Lesestücke gibt es derweil viele, das Wörterverzeichnis findet man heute online (Thesaurus Linguae Aegyptiae: http://aaew2.bbaw.de/tla/) , die Literatur ist ohne digitale Hilfsmittel kaum noch zu überblicken und die Schrifttafeln – in ihrer Systematik von Erman vorgegeben – hat A. H. Gardiner vervollständigt und maßgeblich strukturiert. Letzterer ist es auch, der in seiner umfangreichen, als Belegstellenband mit zusätzlichen Übungsstücken konzipierten Egyptian Grammar in der Mitte des 20. Jahrhunderts neue Maßstäbe setzte. Im deutschsprachigen Raum haben sich aus jüngerer Zeit die Tübinger Einführung in die klassisch-ägyptische Sprache und Schrift von Wolfgang Schenkel, die Mittelägyptische Grundgrammatik von Boyo Ockinga (auf der Grammatik von Hellmut Brunner aufbauend) und die Mittelägyptische Grammatik für Anfänger von Erhart Graefe und Jochem Kahl durchsetzen können.

Jenni hat ihrer Veröffentlichung, ähnlich wie Gardiner, stärker die Komponente eines Übungsbuches gegeben, im Umfang jedoch bedeutend schmaler. In Ihrer Einleitung weist sie daraufhin, dass ab Kapitel 5 bei ihren Übungen mit einem zusätzlichen Wörterbuch zu arbeiten sei; ferner sich ein Grundwortschatz parallel zu den grammatischen Übungen anzueignen ist; und auf eine externe Zeichenliste der Hieroglyphen zurückgegriffen werden muss, auf deren Abdruck Jenni in ihrem Buch verzichtet hat, um „die Studierenden von allem Anfang an mit den Arbeitsinstrumenten vertraut zu machen, die sie später ohnehin gebrauchen werden“ (S. 13). Die Hannig-Lexika werden hier als Ressource ausdrücklich empfohlen. Textübungen sind hieroglyphische Abschriften altägyptischer Originale, um Studierende mit verschiedenen Textarten des Ägyptischen vertraut zu machen. Die Quellenangaben befinden sich in einer Fußnote bei der entsprechenden Textkopie.

An den Anfang ihres Lehrbuches hat Jenni Grundprinzipien der Hieroglyphenschrift gesetzt, wie z. B. die Funktionen von Ideogrammen, Phonogrammen und Determinativen. In diesem Abschnitt wird vom Leser verlangt, die 24 Einkonsonantenzeichen zu erlernen, die hieroglyphisch, in Umschrift (Transkription) und mit einer Bedeutungssymbolik aufgelistet sind. Der Lernaufwand ist gut dosiert, leider wird der Begriff bzw. die Funktion der Transkription erst kurz hiernach erläutert (inklusive der Umschriftsysteme des Thesaurus Linguae Aegyptiae und Gardiners Grammatik, exklusive der Schenkelschen Transkriptionsprinzipien). Positiv fällt zudem auf, dass auf Seite 21 die browsertaugliche Verwendung der Umschrift abgedruckt ist. Ein Ausblick auf die Lesepraxis schließt diese Übung ab, der Jenni als einen sehr kurzen Exkurs die Entzifferung der Hieroglyphenschrift beigibt. In einem Anhang gibt sie Anweisungen zum Schreiben von Hieroglyphen.

Kapitel 2 widmet sich der Schriftrichtung und der Zeichenanordnung sowie Wort- und Zeichenumstellungen. Im dritten Abschnitt lässt Jenni die Schriftentwicklung sowie Sprachverwandtschaften folgen. Diesem gut bebilderten Teil schließt sich der erste grammatische Teil des Buches an: Partikel und Präpositionen werden im vierten Kapitel besprochen. Mit den Nomina, die im Zentrum des fünften Abschnitts stehen, führt sie in die ersten, einfachen Satzkonstruktionen ein (Adverbialsatz). Nach den Pronomina, den Demonstrativa und den Interrogativa im Kapitel 6, erläutert sie allgemein die Syntax im siebenten Teil, um in den nachfolgenden Abschnitten 8 und 9 dies zu vertiefen. Den Einstieg in die Verbalsätze beginnt Jenni mit der Morphologie des Verbs und beschreibt darauf aufbauend die verschiedenen temporalen Aspekte der Suffixkonjugationen des Mittelägyptischen. Vervollständigt wird ihre Darstellung durch die verschiedenen passiven Formen, die von ihr „Folgetempora“ genannten contingent tenses, durch die Verwendung des Imperativs sowie die des Infinitivs. Kapitel 17 bis 21 beschreiben das Pseudopartizip, Partizipien, passive Partizipien, Relativformen und Relativsätze. An das Ende ihres Buches hat sie Negationen (Kapitel 22), Hilfsverben (Kapitel 23) und hypotaktische Konstruktionen bzw. Konjunktionen (Kapitel 24) sowie Zahlen und Datumszählungen (Kapitel 25) gesetzt. Im tabellenartigen Anhang listet Jenni alle hieroglyphischen Schreibungen von Verbalformen und ihre mögliche grammatische Auflösung auf. Literatur- und Textstellenverzeichnisse mit einem Sachindex schließen den Band ab.

Dank zahlreicher Übersichtstabellen und anschaulicher Beschreibungen gelingt es der Verfasserin, dem Leser die von ihr geschilderten grammatischen Formen gut verständlich zu vermitteln. Allerdings werden die Verweise z. B. auf die französische Grammatik von Malaise / Winand einen Anfänger eher verwirren als hilfreich sein, muss er sich neben englischen Fachtermini auch noch französische in einem sehr frühen Stadium des Lehrbuches verstehen und in den richtigen Kontext einpassen. Diese Verweise richten sich eher an einen Dozenten.

Grundsätzlich stellt sich die Frage, wie angesichts der recht jungen Studienformen B.A. / M.A. eine Grammatik für Mittelägyptisch konzipiert werden muss. Waren Studierende vergangener Jahre meistens Absolventen, die sich auf eine universitäre Laufbahn konzentrierten, sind durch die heutigen Studiensysteme in mittelägyptischen Sprachkursen häufig mehr an einer Übersicht der Sprache Interessierte als sog. Hauptfachstudierende der Ägyptologie. Für einen angehenden Wissenschaftler ist die zusätzliche Heranziehung von Wörterbüchern und hieroglyphischen Zeichenlisten wichtig und zu begrüßen, für einen Ägyptologie ergänzend Studierenden aber zu weit gegriffen. Zudem verteuert sich die Anschaffung des Lehrbuchpakets erheblich, wenn zu dem relativ preisgünstigen Lehrbuch der klassisch-ägyptischen Sprache noch z. B. die empfohlenen Hannig-Lexika (oder Teile davon) mehr als verdoppelt wird.

Die Zahlen und ihre Verwendung hätten auch gut an den Anfang des Lehrbuches gepasst, beginnen doch viele ägyptische Texte mit einer Jahresangabe. Zu den „originalen Textbeispielen“ hätte einschränkend erwähnt werden sollen, dass viele der Übungsstücke von Papyrus stammen und im Original nicht hieroglyphisch, sondern hieratisch (also in der Kursivform der Hieroglyphenschrift) abgefasst worden sind. Bei der Tabelle der Einkonsonantenzeichen hätte ergänzend die semitische bzw. koptische Lautung (Jod, Beth, Schin usw.) mit aufgenommen werden können. Dies sind aber nur gering zu gewichtende Monita.

Aufbau, Übersicht und typografische Gestaltung des Buches (einschließlich der angenehm zu lesenden hieroglyphischen Zeichen) haben einen sehr guten, positiven Eindruck hinterlassen, der sich auch im Unterrichtseinsatz bestätigt hat.