Mythenrezeption
Die antike Mythologie in Literatur, Musik und Kunst von den Anfängen bis zur Gegenwart

Der 5. Supplementband zum Neuen Pauly 'präsentiert in ausführlichen Artikeln die Wirkung und Rezeption herausragender Figuren der griechisch-römischen Mythologie' (S. VII). Als erstes Nachschlagewerk verlässt damit die Realenzyklopädie zur Antike ihre Wurzeln und nimmt sich in einer Sonderschrift der Interpretation und Umformung antiken Stoffes von deren Anfängen bis in die Gegenwart hinein an. Literatur, Kunst und Musik sind die Disziplinen, die im Fokus der Darstellung stehen, Psychologie, Ethnologie, neuen Medien, Comic und Werbung werden teilweise in der Betrachtung gestreift.
Die Einträge im Supplementband entsprechen folgendem Aufbau: Name der mythischen Figur und kurze Charakteristik; Mythos in seiner 'wirkmächtigsten Fassung' (ebd.); ggf. religionsgeschichtliche Deutung; antike Rezeption; spätantike bis frühneuzeitliche Rezeption; moderne Rezeption. Entscheidend für die Auswahl und Darstellung ist die rezeptionsgeschichtliche Bedeutung der Mythenfigur, deren Einfluss durchaus vielschichtig sein kann: wissenschaftsgeschichtlich, politisch, kirchlich u.a.
Die Artikel sind über Querverweise mit anderen Einträgen im gleichen Band vernetzt. Die antiken Quellen sind direkt in den Text gesetzt, so dass die einzelnen Angaben unmittelbar belegt sind. Dank der umfangreichen Angaben zur Forschungsgeschichte ist der Band einerseits eine kritische Auseinandersetzung mit dem aktuellen Forschungsstand, die Autoren gehen jedoch wertend darüber hinaus und geben damit zugleich neue Impulse. Daher ist der Band nicht nur eine lose Zusammenstellung einer redaktionell erarbeiteten 'allgemeinen Lehrmeinung', sondern versteht sich höchst wissenschaftlich als aktueller Beitrag zur Kulturwissenschaft. Dies ist allen Beiträgen zueigen, die konsistent verfasst worden sind.
Für die Rezeption, wenn sie kunstgeschichtliche Betrachtungen mit einbezieht, sind Bilder von entscheidender Bedeutung, auf die der Supplementband erfreulicherweise nicht verzichtet. Eine eventuell dadurch notwendig gewordene Verknappung merkt man dem Buch nicht an.
Zwei abschließende, ausführliche Register zu den mythischen Figuren und generell zu Personen (Künstler, Schriftsteller u.a.) führen treffsicher zu den einzelnen Beiträgen, die erfreulicherweise als Stichwort dem Seitenverweis vorgeschaltet sind.
Die Supplemente zum Neuen Pauly sind konzeptionell ein wahrer Glücksgriff. Ihre inhaltliche Ausgestaltung ist bislang ohne nennenswerte negative Kritik. Darin passt sich auch die 'Mythenrezeption' wieder einmal ein. Sein grafisches Erscheinungsbild ist geprägt von hoher Übersichtlichkeit, die Anlage des Werkes auf einen Band macht es zu einem praktischen Nachschlagewerk, wie es seine Intention ist. Dabei bietet es dennoch genügend Platz für eine inhaltlich breit angelegte Darstellung mit ausreichend Spielraum für wissenschaftliche Diskurse. Es ist eine bemerkenswerte Abkehr von den wie Wikipedia und vergleichbaren 'online'-Nachschlagewerken zu einem 'offline'-Wissen, das nicht nur auf alphabetischen Einträgen und summarischen Zusammenfassungen beruht, sondern solide recherchiert, sprachlich anspruchsvoll und ausführlich belegt ist. Derartig sorgsam konzipierte Werke brauchen keine minütlichen Aktualisierungen oder nachträgliche Korrekturen. Das Vorhaben, einen umfassenden Überblick über die Rezeption antiker mythologischer Gestalten zu erstellen, haben alle Autoren und die Herausgeber gemeinsam mit Bravour gemeistert und die Lexikonreihe 'Der Neue Pauly' wiederum entscheidend aufgewertet.