Die Welt der Antike auf Karten zu bannen ist in vielen Projekten und Forschungsvorhaben mit verschiedenen Schwerpunktsetzungen und mit unterschiedlichem Erfolg bereits öfters unternommen worden. Der 'Tübinger Atlas des Vorderen Orients' oder 'Barrington Atlas of the Greek and Roman Worlds' sind nur zwei prominente Beispiele, die in jüngster Zeit durch zahlreiche, über das Internet zugängliche elektronische Quellen zu ergänzen sind.
Der in 18 Bänden erschienen 'Neue Pauly' (DNP) hat in seiner Supplement-Reihe nun einen 'Historischen Atlas' an die Seite gestellt bekommen, der aber ' und das ist erfreulich ' nicht nur auf Einträge im Lexikon beruht, sondern 'für schulische Zwecke einsetzbar und allgemein für historisch Interessierte gut lesbar' ist: Sieben chronologisch angeordnete Kapitel 'Karten und Kommentare' ' mit Ausnahme der ersten Untergruppe 'Antike Weltvorstellungen und Erkundungen' ' zeigen Kultur- und Reichsgrenzen, Wanderbewegungen, Kriegszüge, Straßenverläufe und wichtige Anbaugebiete, um nur einige Themen zu nennen. Das Kartenmaterial ist durchweg farbig gestaltet, dank des Überformats des Buches sind auch Feinheiten deutlich erkennbar abgebildet. Die Pläne sind durchgängig auf eine rechte Buchseite gesetzt, der sie erläuternde bzw. kommentierende Text ihnen gegenüber. Topografisch wie inhaltlich sind die Karten zusätzlich über ein systematisches Verzeichnis gegliedert, wo unter Stichworteinträgen auf entsprechendes Vorkommen auf bestimmten Seiten verwiesen wird.
Die Genese des Bandes ist dem Vorwort (S. V) zu entnehmen: Die Karten im DNP seien überaus positiv aufgenommen worden, weshalb an dieser Konzeption festgehalten wurde und 60% des bereits vorhandenen Materials über- und zu Farbkarten umgearbeitet worden sind. Die anderen sind Neuentwicklungen. Grundlage für deren Erstellung wie auch für die Kommentartexte sind die Einträge im DNP und bereits erschienener Supplemente. Die Karten und die sie erläuternden Kommentare bilden nicht nur politische oder militärische Ereignisse ab, sondern greifen alle Sphären des gesellschaftlichen Lebens auf: die Wirtschaft, Religion, Kultur und Bevölkerungsentwicklung.
Den östlichen Reichen ist im Atlas in der Darstellung viel Platz eingeräumt worden, was für den Historiker sicher von Vorteil ist, jedoch wird es für einen schulischen oder rein interessierten Nutzer weniger wichtig erscheinen, stehen hier oftmals doch 'europäische' Fragestellungen im Vordergrund. Damit trägt der Atlas der bereist im DNP feststellbaren Schwerpunktbildung des Orients ab dem 3. Jt. v.Chr. Rechnung. Den Endpunkt der Kartendarstellung bildet für den Osten die Eroberung Konstantinopels 1453, der Westen findet bis in das 6. Jh. n.Chr. punktuell Eingang in den Atlas.
Die Umsetzung aller dieser Ansprüche in den 'Historischen Atlas der antiken Welt' ist gelungen. Es ist ein Referenzwerk mit Erläuterungen, Quellenangaben und Register entstanden, das es in dieser Form zuvor nicht gegeben hat. Die innovative Gestaltung der zuvor angesprochenen Doppelseiten, die Einführung in die verschiedenen Weltvorstellungen (S. 3ff.) und die 'Fernerkundung in der antiken Welt' (S. 6ff.) sind willkommene Ergänzungen. Grundsätzlich bewegt sich das Kartenmaterial auf dem aktuellen Stand der Forschung ' auch wenn sich in einigen Jahren die eine oder andere Erkenntnis bereits wieder gewandelt haben wird.
Neben den topografischen und politischen Plänen machen vor allem die Themenkarten die Universalität des Bandes aus. Dazu gehören z. B. die Auflistung der wichtigsten Fundorte im Agäisraum vom 12.-9. Jh. v.Chr. (S. 35), die Verbreitung von Schriften im östlichen Mittelmeerraum (S. 61), die gesprochenen Sprachen Italiens vor Ausbreitung des Lateins (S. 67), Handelsbeziehungen des 8.-5. Jh. v.Chr. (S. 83) und Handelswege des 4.-1. Jh.s v.Chr. (S. 135) oder etwa die Distribution der römischen Legionen (S. 209), um nur einige Beispiele aufzulisten, die wenn überhaupt, dann nur in speziellen Abhandlungen zuvor veröffentlicht sind.
Einige wenige dieser Themen hätten sich vielleicht anders aufbereiten lassen: Unübersichtlich wird es etwa bei der Kolonisation (S. 69), wenn Phönizier, Griechen und Etrusker auf eine gemeinsame Karte eingetragen werden, obgleich mehrere Jahrhunderte zwischen den Expansionen und den daraus resultierenden einzelnen Niederlassungen liegen. Drei kleinere Einzelkarten hätten hierbei bessere Übersicht und korrekte historische Gliederung gebracht. Ähnliches gilt für die Nachfolgestaaten Westroms (S. 235). Ebenfalls wird mit fortschreitender Zeitschiene die urbane Entwicklung zunehmend weniger behandelt.
Sehr gelungen sind im Anhang 'Quellen, Literatur, Tabellen' die jeweiligen Erläuterungen zu den Kommentaren, die kurze historische Abrisse, umfangreich antikes Quellenmaterial und neue Literatur zusammenstellen.
Der positive Gesamteindruck wird dadurch verstärkt, dass sich der Benutzer schnell in dem Atlas zurechtfindet und mit Hilfe der verschiedenen Register sicher zu den gewünschten Seiten geleitet wird. Die innovativen Elemente in Konzeption und Gliederung sowie die Professionalität bei deren Umsetzung heben den Band weit über den bisherigen Standard hinaus. Mit diesen neuen Maßstäben werden sich viele zukünftige Atlanten schwer tun.