Herrscherchronologien der antiken Welt
Namen, Daten, Dynastien

Die verschiedenen relativen Chronologien der antiken Kulturen in absoluten Zahlen zu fassen und damit vergleichbar zu machen, möchte Rezensent als nach wie vor eines der großen wissenschaftlichen Herausforderungen werten. Neue Befunde und Interpretationen, Neudefinitionen und veränderte wissenschaftliche Ansätze im Zusammenspiel mit neuen Ergebnissen naturwissenschaftlicher Disziplinen führen in immer kürzeren Abständen zu voneinander abweichenden Datierungsvorschlägen (u.a. weichen daher z.T. die Angaben im DNP von denen im anzuzeigenden Supplement zum DNP ab).
Übersichtlichkeit, rasche Handhabung und ein hohes Maß an Einheitlichkeit prägen den Band und erlauben es ' soviel sei vorweg genommen ' ihn als in die Reihe der Standardwerke aufzunehmen. Und dies nicht in erster Linie, weil er dem 15-bändigen DNP zuzurechnen ist und mit ihm gleiche Lemmaeinträge teilt. Auch als eigenständiges Nachschlagewerk hätte er ein Desiderat beseitigt. Ihn als Supplement zu vermarkten, dürfte jedoch lukrativer sein und geholfen haben, den ohnehin hohen Preis nicht weiter in die Höhe zu treiben.
13 chronologische Abschnitte (geographisch: Naher, Mittlerer und Ferner Osten sowie der Mittelmeerraum und Westeuropa) mit genealogischen bzw. geographischen Untergliederungen fassen über 4000 Jahre Herrscherdynastien in übersichtlichen Tabellen zusammen.
Ein Vorwort der Herausgeber erklärt Zielsetzung, Problemsituation und die Benutzung; Johannes Renger informiert zusätzlich über Stand der Forschung der altorientalischen chronologischen Systeme (für den Mittelmeerraum und Westeuropa ist anstelle einer ausformulierten Einleitung eine umfangreiche Literaturliste beigegeben).
Ergänzt werden die Königslisten teilweise um synchrone Übersichten, die Herrscherlinien in ausgewählten Epochen nebeneinander darstellen. Ferner machen erläuternde Einleitungen zu den in den Band aufgenommenen Kulturkreisen (u.a. China, Medien, Germanenreiche in Britannien) kurz auf chronologische und quellenkundliche Probleme aufmerksam.
Daß Zeitenrechnung in der Antike an Herrschergestalten gebunden ist, erklärt sich aus den politischen Systemen jener Zeit. Diese einzeln nebeneinander existierenden Systeme aufeinander abzustimmen, scheint während ihres Gebrauchs in der Antike kein Problem dargestellt zu haben (anders Renger, S. XIVf.); erst in der Retrospektive sind wichtige Faktoren unbekannt geworden, die eine Synchronisation erschweren oder gar unmöglich machen. Die nicht unbedingte Historizität der antiken Chronographen steuert ihr übriges dazu bei. Die verschiedenen Bearbeiter reagieren ihren Einzeldisziplinen entsprechend darauf: einige, wo unmittelbare Zeugnisse fehlen, listen z.B. die Angaben Herodots oder Diodors auf; andere synchronisieren; wiederum andere rechnen von Fixdaten (z.B. stellare Konstellationen) zurück.
Die verschiedenartigen Quellen zwingen dazu, die Angaben in den Herrscherliste des Buches z.T. zu variieren. Allen gleich ist eine durchgängige Nummerierung, die Regierungszeit in absoluten Daten und die Verwendung der gebräuchlichen Regentennamen. Oft ergänzen Genealogie oder weitere Namensformen diese Gliederung. Ein Feld 'Bemerkungen' kann unterschiedliches auflisten: z.B. wichtige historische Ereignisse, familiäre Besonderheiten, quellenkritische Angaben oder Ergänzendes zu Herkunft oder Amtsfunktion bzw. zum politischen Ende oder dergleichen. Bei den synchronischen Übersichten für den Alten Orient des 2. Jahrtausends v. Chr. Ägypten nicht mit aufzulisten, ist Rezensent unverständlich (die Überschrift nennt 'wichtigste Staaten', und in der Einleitung S. 59 wird explizit auf die enge Verzahnung mit der ägyptischen Geschichte aufmerksam gemacht). Und auch wenn bereits vorliegend, eine synchrone Übersicht der Diadochenherrscher und ihrer Nachfolger wäre Rezensent in diesem Supplementband ebenfalls willkommen gewesen. Verweise auf DNP sowohl als Pfeil wie auch mit dem Asterisk ('aus Platzgründen', S. XVII) zu kennzeichnen erscheint Rezensent nicht zwingend (vgl. dazu die sechs Leerseiten am Ende des Bandes); hier wäre eine Verweisform sicher ausreichend gewesen. Hinzu kommt, daß in den Tabellen nicht konsequent verwiesen wird (z.B. S. 25 Assurbinipal; S. 43 Nubien; S. 51 Taharqa ~Tarkos; S. 66 Thutmosis [4] IV. bzw. Amenophis [2] II. u.a.).
Unschärfen oder Ungenauigkeiten liegen in der Natur der Sache (vgl. S. 8 der Einführung Rengers zu Ramses II. mit Verweis auf Tabelle II.1, Nr. 90; andere Datierungen als 1279-1213 v. Chr. sind inzwischen abzulehnen, vgl. dazu auch R. Krauss, Chronology of Ancient Egypt, in: Immortal Pharaoh. The Tomb of Thutmose III, Madrid, September 2005), sind aber von den Herausgebern vorbildlich integriert worden. Ein umfangreiches Register der verschiedenen Namensformen führt zielsicher zu allen kulturgeschichtlichen Tabellen. Den 'Neuen Pauly' (DNP) um thematische Ergänzungen zu einer umfassenden Enzyklopädie der Antike zu vervollständigen ist ein anspruchsvolles Vorhaben, dem das erste Supplement in allen Punkten gerecht wird.