Der Dreißigjährige Krieg in der deutschen Barockliteratur

An Gesamtdarstellungen zum Dreißigjährigen Krieg herrscht wahrlich kein Mangel, im Gegenteil: Ihre Fülle ist mittlerweile kaum mehr zu überblicken. Die Rezeption, Verarbeitung und Deutung der „Ur-Katastrophe der Deutschen“ (so der Titel des Spiegel Geschichte-Heftes 4/2011) in der Barockliteratur darf ebenfalls als gut erforscht gelten, eine aktuelle, übersichtliche Monografie zu diesem Thema fehlte bislang aber. Volker Meid, einer der besten Kenner der deutschen Barockdichtung, hat diesen Missstand nun behoben. Dem Literaturwissenschaftler gelingt es auf knappem Raum, eine Vielzahl von literarischen Werken samt ihrer Verfasser (und wenigen Verfasserinnen) zu präsentieren und diese ausführlich zu Wort kommen zu lassen. Dabei legt Meid seiner Arbeit einen weiten Literaturbegriff zugrunde: Er konzentriert sich nicht ausschließlich auf fiktionale Texte, sondern bezieht auch Tagebücher, Chroniken, Flugblätter sowie einige ausgewählte Briefe in seine Darstellung mit ein.

Im Mittelpunkt seiner Analyse stehen indes nachvollziehbarer Weise Werke der deutschsprachigen Dichtung, deren Konstitution sich in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges auf geradezu paradoxe Art entwickelte. Während große Landstriche des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation völlig verheert darnieder lagen, wurde die Kultur von einer ungeahnten Aufbruchstimmung erfasst, die, so der Autor, einen nachhaltigen Wandel in der deutschen Literatur und Sprache nach sich zog. Zu den wichtigsten und bekanntesten Protagonisten dieses Reformprozesses zählt der schlesische Literaturtheoretiker Martin Opitz, dessen 1624 veröffentlichtes „Buch von der Deuschen Poeterey“ die „erste deutschsprachige Poetik“ (S. 249) darstellte.

An den Beginn seines Buchs stellt Meid allerdings ein eher unbekanntes episches Zeitgedicht von Abraham von Dohna, dem calvinistischen Leiter der kurbrandenburgischen Delegation beim Regensburger Reichstag von 1608. Dessen hellsichtige Verse enthielten eine deutliche Warnung vor den dramatischen Konsequenzen der „deutschen Zwietracht“ (S. 22) – doch sie verhallten ungehört bzw. blieben wirkungslos. Von diesem klug gewählten Startpunkt aus folgt Meid den wichtigsten Etappen des weiteren Konfliktverlaufs und verwebt diese geschickt mit ihrer literarischen Rezeption. Häufig gerieten dabei prominente Persönlichkeiten in den Fokus der publizistischen Öffentlichkeit, so etwa der „Winterkönig“ Friedrich V. von der Pfalz, der vom Garanten der protestantischen Glaubensfreiheit zur wehrlosen Zielscheibe von Spott und Satire wurde.

Doch nicht nur Könige, sondern – darauf macht der Verfasser aufmerksam – auch einzelne Söldnerführer zogen mitunter das dichterische Interesse auf sich. So verfasste der aus Württemberg stammende, in England lebende Lyriker Georg Rodolf Weckherlin mehrere Oden auf Ernst von Mansfeld, in denen er den privaten Kriegsunternehmer rühmte, selbst den legendären Achilles an List und Tapferkeit zu übertreffen. Überhaupt dienten die antiken Heldensagen immer wieder als Vergleichsfolie, um das aktuelle Geschehen einzuordnen und auszudeuten. Der unbekannte Verfasser von „Achilles Germanicorum“ bezog in diesem als homerischen Kleinepos angelegten Werk „politische Propaganda und literarische Tradition, aktuelles und fiktives Kriegsgeschehen aufeinander“ (S. 47) und parallelisierte so den gegenwärtigen Konflikt mit dem Kampf um Troja, wobei er die „Magdeburger Hochzeit“ mit der Opferung Iphigenies identifizierte. Die evangelische Seite ordnete er den Griechen, die katholische hingegen den Trojanern zu und im schwedischen König Gustav II. Adolf erblickte er nun seinerseits den neuen Achilles. In exakter Umkehrung der Rollen charakterisierte der bedeutendste neulateinische Dichter des 17. Jahrhunderts, der Katholik Jacob Balde, die unterschiedlichen Kriegsparteien, bei ihm firmierte Gustav Adolf als „Rex Alemanniam Vastator“ (Verheerer-König).

Neben Bezügen zur klassischen Antike lassen sich aber gelegentlich auch frappierende Brücken in die Gegenwart schlagen. Ein wichtiges Element insbesondere der protestantischen Propaganda stellten Verschwörungstheorien dar, denen zufolge ausländische Drahtzieher (der Papst, die Jesuiten, die Spanier) den deutschen Kaiser mit dem Ziel verführt hätten, die „teutsche Libertät“ zu vernichten. Es bedarf keiner allzu großen Mühen, um hier Analogien zu rezenten Diskursstrategien und -praktiken auszumachen.

Natürlich darf auch das Söldnertagebuch von Peter Hagendorf nicht fehlen, dem Meid mehrere Berichte von zivilen Opfern (u.a. die Zeugnisse der Nonnen Clara Staiger und Anna Maria Junius) der Kriegsgewalt gegenüberstellt. In seiner Analyse der Schilderungen der Augenzeugen stellt Meid fest, dass auch diese von literarischen Konventionen beeinflusst seien und beispielsweise rhetorische Steigerungstechniken eingesetzt wurden, um eindrückliche Schreckensszenarien zu entwerfen. Gleichwohl, so der Germanist, spiegelt sich in diesen Texten „die Erfahrungswelt der Bürger wesentlich unmittelbarer als in der zeitgenössischen Historiographie.“ (S. 91). Hier, wie an vielen anderen Stellen, arbeitet Meid die literarischen Strategien der Texte und die Interessen bzw. Motive der dahinterstehenden Akteure überzeugend heraus.

Dichter wie Friedrich von Logau, Andreas Gryphius oder Hans Jacob Christoph von Grimmelshausen führten in ihren Texten die Brutalität des Krieges ebenso schonungslos vor Augen wie die Leiden der Bevölkerung und die daraus resultierenden moralischen Deformationen der betroffenen Menschen. Gedichte wie „Die auffgeweckte Chimaera“ von Logau, in dem das Monstrum der Chimäre aus der antiken Mythologie mit seinem verheerenden feurigen Atem sinnbildlich für die zerstörerische Gewalt steht, oder Grimmelshausens berühmter Roman „Simplicissimus Teutsch“, der mit den Mitteln der exemplarischen Verdichtung, satirisch-ironischen Verkehrung und drastischen Anschaulichkeit in einer „lustigen Manier“ (S. 125) seine Leser mit der mörderischen Realität konfrontiert, bestimmen nach Meid bis heute unser Bild vom Dreißigjährigen Krieg wesentlich mit. Zugleich präsentiert er aber auch heute nur noch Wenigen bekannte Autoren wie den Juristen und Philologen Georg Schottelius, der in seiner bemerkenswerten Alexandrinerdichtung „Lamentatio Germaniae Exsprirantis“ auch das geltende Kriegsrecht kritisierte – ein Thema das ansonsten kaum einmal traktiert wurde. Mitunter warfen Literaten aber auch den Gedanken auf, dass die Dichtkunst der Kriegskunst dienen könnte, so z.B. der Theologe und Rhetoriker Johann Klaj, der in den von Tacitus bezeugten Kampfliedern der Barbaren das entsprechende historische Vorbild erblickte.

Meid legt instruktiv dar, dass bei der Suche nach den Verantwortlichen für diesen nicht enden wollenden Krieg verschiedene Erklärungsmodelle angeboten wurden: neben dem klassischen religiösen Deutungsmuster, nach dem der Krieg als Strafe Gottes für die Sünden der Menschheit zu ertragen sei, wurde auch die jüdische Bevölkerung einmal mehr zum Sündenbock gemacht, vor allem während der Kipper- und Wipperzeit. Der Calvinist Opitz widersprach seinerseits der lutherischen Leidens- und Duldungshaltung und nahm reformierte Deutungen des Widerstandsrechts auf, die er mit Elementen des Neostoizismus verknüpfte. Johann Michael Moscherosch wiederum wandte sich vom althergebrachten Argument ab, wonach das Lasterleben der Menschen die eigentliche Kriegsursache sei, und benannte konkret die Fürsten als die politisch Verantwortlichen für Not und Zerstörung.

Mit einer gelungenen Pointe lässt Meid seine gut lesbare, facetten- und kenntnisreiche, lediglich etwas thesenarme Darstellung enden, wenn er an den Schluss ein Gedicht Georg Greflingers mit dem doppelsinnigen Titel „Der Mars ist nun im Ars“ (Ars: lat. Kunst, im mittelhoch- und frühneuhochdeutschen Arsch) stellt, das vordergründig ein „witzig-artistisches Spiel mit Wortbedeutungen betreibt“ (S. 212), implizit aber harsche Kritik an der im Humanismus verbreiteten und bis heute vorhandenen Vorstellung übt, dass Krieg und Wissenschaft respektive Kunst (Marte et Arte) sich gegenseitig befruchten könnten.