In der Präsentationsform verfährt vorliegender Band komparatistisch, parallelisierend; in Chronologie wechseln einander die durch politische Zäsuren trennbaren historischen Etappen gegenständlicher Staaten ab. Eine solche Synthese allein leistet bereits Verbindendes. Diese Bande neu, aktuell einsichtig zu machen, erscheint als dem bilateralen Wissenschaftsteam ein notwendiges Anliegen. Dabei befördert die reiche Bebilderung des Fließtextes (bei Perspektivenwechsel durch Ko-Autoren) die aufgelockert mühelose Einsichtigkeit, einem Lehrbuch ähnlich.
Der im Umfang spärliche Schlussteil verfährt synoptisch; eine Gesamtschau, die Bewertungen durch Stereotype und Narrative bietet, ohne diese als solche zu bewerten. Unschwer lassen sich in der Verlaufsstruktur zweierlei Stränge nachzeichnen: zum einen „[g]roße Unterschiede“, zum anderen „verblüffende Ähnlichkeiten“ (S. 95) bei den beiden Staaten.
Zu ersteren gehören ungleiche sozialpsychologische Ausgangsbedingungen (vgl. S. 96); nach 1918 ist Österreich ein ‚Verliererstaat,‘ die CSR ein ‚Siegerstaat‘, und, indem nach wie vor multiethnisch, ein „echter Erbfolger der Monarchie“ (S. 90). Was die nächsten Jahrzehnte folgt, sind „zwei unterschiedliche Wege der Sozialdemokratie und ihrer Beziehung zum Kommunismus“ (S. 211), die bei „durchaus Ähnlichkeiten in der Wirtschaftsgebarung“ (S. 218), der Priorität der verstaatlichten Industrie, eine „nahezu konträre Entwicklung“ zeitigt: in der CSSR „den Absturz von einer prosperierenden Demokratie der Zwischenkriegszeit in die Gruppe der Länder der ‚Zweiten Welt‘“ (S. 238).
„Innere Sowjetisierung“ hier, „Amerikanisierung“ (S. 243) dort: Stellt für die CSSR „die kaum passierbare und streng bewachte Grenze […] eine[n] der Grundpfeiler seiner Normalisierungspolitik“ (S. 290) dar, bietet sie sich für Österreich geradezu als „Systemgrenze“, ja als ein „Identifikationsmerkmal“ (S. 344) an. Zur Charakterisierung der prekären Lebensumstände in der CSSR wird hier durch die unorthodoxe, die Sache weitaus treffendere Anwendung von damals gängigen Alltagsbegriffen mit bitterer Ironie nicht gespart: So etwa, wenn der „politische Veränderungswille“ fataler Weise „‘Mangelware‘“ (S. 262) bleibt, oder durch personelle ‚Säuberungen‘ Menschen auf „Plätze“ gelangen, „die zwar unter den normalisierten, wohl kaum aber unter normalen Umständen eine steile Karriere hätten machen können“ (S. 272).
Mit 1989/90 stehen nach Ansicht des Teams für die CSSR mehr die Brüche als die für Österreich geltenden Kontinuitäten der vorangegangenen Etappe gegenüber (vgl. S. 339); durch ‚Schengen‘ (2007) fallen dann „seit 1918 tatsächlich die Grenzbalken“ (S. 353) wieder. Summarisch kann die Liste der Parallelen bei den durchaus vergleichbaren Startbedingungen der beiden Staaten ansetzen, ähnlich auch ihr jeweiliges Scheitern beim „Aufbau eines gemeinsamen Staatsbewusstseins und Symbolsystems“ (S. 96). Im Kulturschaffen laufen Gemeinsamkeiten, trotz nationaler „Abgrenzungsversuche“, „vielfach Verwandtschaften und Anleihen“ (S. 139) fort. Beide, und als solche niemals erloschene Staaten machen die sogenannte ‚Okkupationstheorie‘ für sich geltend, die sie unter der Herrschaft des Dritten Reiches „bloß ihrer Handlungsfähigkeit beraubt“ (S. 212) habe.
Besonders gültig für die 60er-Jahre, werden die eine ‚Konvergenztheorie‘ (vgl. S. 252) stützenden Argumente vorgebracht: „beiderseits der Grenze“ sei es „zur Abschwächung der einst starken politischen Ideologien und zur Anwendung einer integrativen Sozialpolitik als Stabilisierungsinstrument“ (S. 266) gekommen. Brüsk abgebrochen allerdings nach Intervention der Sowjetunion 1968; wobei die „Zugehörigkeit zu den Machtblöcken“, wohlweislich beider Staaten, als „keine Frage der freien Wahl“ (S. 262) dargestellt wird. Der erwähnte synoptische Schlussteil will lediglich eine „Gegenüberstellung der unterschiedlichen Auslegungen, Deutungen und Lesarten der historischen Ereignisse“ (S. 372) bieten.
Als Interpretationshilfe wird darauf hingewiesen, dass die Tschechen als ‚Kleinvolk‘ traditionell es gewohnt, „einem größeren Herrschaftsbereich oder einem Staatenverband eingegliedert“ (S. 358) zu sein, erfahren in der Hintertreibung ihrer „Gleichberechtigungsforderungen“ (S. 370). Zitate zur Charakterisierung der Relationen zwischen der tschechischen und österreichischen Gemeinschaft wie: „missgünstige Vettern‘“ (Václav Havel; S. 356), „Streit unter Familienangehörigen“ (Barbara Coudenhove-Kalergi; S. 378) sowie „‘ein Volk mit zwei verschiedenen Sprachen‘“ (Ernst Viktor Zenker; S. 379) taugen zur abwägenden Beurteilung.
Eine beide Staaten umgreifende Zusammenfassung in Form einer Inventur von wechselseitig verfügten Beeinträchtigungen und im Resultat erlebten Benachteiligungen, hätte dem Sammelwerk nicht geschadet. Dennoch ist mithilfe vorliegender Darbietung beiderseitiges Wohlwollen und Befriedung zumindest zu stiften durch eine ausreichend positive Bilanz von Gemeinsamkeiten gelungen; weitere Schlussfolgerungen überlässt sie absichtsvoll der Leserschaft.