Epos, Lyrik, Drama
Genese und Ausformung der literarischen Gattungen. Festschrift für Ernst-Richard Schwinge zum 75. Geburtstag

Ernst-Richard Schwinge (Jahrgang 1934) war von 1976 bis 1999 an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Professor für Gräzistik tätig. Ihm zu Ehren sind in anzuzeigendem Band 14 Autoren versammelt, die seine Forschungsschwerpunkte Epos, Lyrik und Drama in Einzelstudien beleuchten. Die inhaltliche Ausgestaltung des Buches ist sehr breit und vielfältig angelegt: Von Mikrothemen wie z. B. „Die Ilias-Zitate im platonischen Hippias (Carl Werner Müller, S. 129-134) bis hin zu überblicksgleichen Untersuchungen, wie von Mitherausgeber Arbogast Schmitt zu „Aristoteles über die Entstehung der Gattungsunterschiede in der Dichtung“ (S. 135-212) vorgelegt, der zugleich der umfangreichste Beitrag in diesem Sammelband ist. Die Themenfelder gehen über die Gräzistik und die lateinisch-römische Kultur hinaus bis hin zur Antikenrezeption im deutschsprachigen Raum.

Folgende Einzelbetrachtungen auf die insgesamt interessanten und in jedem Falle anregenden Artikel mögen als repräsentativ gelten: Gerhard Baudy interpretiert die Irrfahrt des Odysseus als Abenteuer- und Heimkehrerzählung mit kulturanthropologischen und evolutionsbiologischen Wurzeln („Die Irrfahrt des Odysseus – eine Zeitreise auf die Vorstufen der Zivilisation“, S. 13-54). Sein psychologischer Ansatz deutet die einzelnen Stationen der Reise als Metaphern für Kindheit, Jugend, Erwachsenenalter bis zum Vergehen. Dies drücke sich zudem in der Übernahme konkreter Festriten aus. Diesen seit mehr als 50 Jahren diskutierten Prämissen hat Baudy einige neue interessante Aspekte beigegeben.

Joachim Latacz legt nach 25 Jahren eine Aktualisierung seiner Epos-Forschung vor („Zum Funktionswandel des antiken Epos“, S. 55-88), spart dabei aber die aktuell aufgeworfenen Diskussionen um eine gemeinsame Autorenschaft der Ilias und der Odyssee aus bzw. lässt vermissen, wie die Entstehung der Werke Hesiods zeitlich anzusetzen seien.

Schmitts oben erwähnter, schon fast monografisch anmutender Beitrag trägt die Charakterzüge eines umfassenden Kommentars zu Aristoteles‘ Poetik. Aristoteles wendet sich nach Meinung Schmitts gegen die praktizierte Einteilung in Epos, Lyrik und Drama und fordert schlussfolgernd u. a. eine Unterscheidung zwischen Handlungsentwicklung und Charakterkonstruktion.

Bernd Seidensticker rekonstruiert und interpretiert den Mailänder Papyrus (P.Mil.Vogl. VIII 309) als Epigramm auf die Bronzegruppe Idomeneus und Meriones des Kresilas (S. 225-235).

Boris Dunsch hat sich der Beurteilung der Werke Plautus‘ aus antiker Sicht angenommen („Die plautische Komödie in republikanischer und kaiserzeitlicher Literaturkritik“, S. 237-300). Das Ergebnis seiner umfangreichen wie lesenswerten Studie hebt Plautus‘ Lexik hervor, wenngleich die Konstruktion seiner Komödien in antiken Rezensionen kritisiert worden ist.

Abschließend angeführt werden soll noch Konrad Heldmanns Aufsatz „Der Kaiser singt zur Kithara. Tacitus über Neros Künstlerkarriere und den Gang der Geschichte“ (S. 315-358). Er interpretiert den taciteischen Nero als Beispiel politischer Enthemmung, die eng verknüpft mit der künstlerischen ist: Der zum Manne reifende Prinzeps transformiert von der politischen auf die künstlerische Bühne, der – wie die Rockstars heute – in Exzessen aufgehend Unglück über andere bringt. Der künstlerischen folgt dann die politische Maßlosigkeit, den Tod eingeschlossen. In Neros Fall erleidet diesen dann seine Ehefrau Poppaea Sabrina 65 n. Chr.

Dieser Querschnitt zeigt, wie unverzichtbar diese Festschrift für den wissenschaftlichen Diskurs ist. Die untadelige Gesamtform des Buches in Druck, Verarbeitung und Textaufbereitung runden den positiven Eindruck der vorgelegten Beiträge ab.