Erzählen von den Heiden
Annäherungen an das Andere in den Chanson de geste-Adaptationen „Loher und Maller“ und „Herzog Herpin“

Immer wieder werden gerade auch in der germanistischen Mediävistik Themen aufgegriffen, die trotz ihrer vermeintlichen Gegenwartsferne aktuelle Bezüge aufgreifen. Dies gilt, so scheint es mir, auch für die vorliegende Überarbeitung der Dissertation Maren Großbröhmers, die sich mit dem ‚Erzählen von den Heiden befasst. Da die Arbeit im Wintersemester 2015/2016 in Oldenburg angenommen wurde, ist der Bezug zur ‚Flüchtlingskrise‘ des Spätsommers 2015 zwar lediglich indirekter Natur; er liegt gleichwohl in der Luft. Zumindest werden Parameter erfühlbar, die den Konnex zwischen ‚Heiden‘ und ‚Fremden‘ herzustellen vermögen, und die es offensichtlich auch schon im Mittelalter gab.

Auch wenn die populären Vorstellungen vom (europäischen) Mittelalter geprägt sind von der Idee einer starren, auch im Wortsinne immobilen Gesellschaft, gilt dies selbstverständlich keineswegs; Kauffahrtsreisen, aber eben auch kriegerische Unternehmungen etwa im Rahmen der Kreuzzüge oder andererseits der vorausgehenden islamischen Westexpansion bewegten die Menschen im Wortsinne. Diese – direkte wie indirekte – Kenntnis (oder eben auch Unkenntnis) vom ‚Fremden‘ allgemein, dem ‚Heiden‘ im religiösen Vorstellungskontext forderte und förderte auch ihre literarische Verarbeitung, wie dies etwa im Kontext der Kreuzzugsliteratur des Hochmittelalters greifbar ist.

Maren Großbröhmer nun hat sich einer späten Blüte dieser literarischen Auseinandersetzung zugewandt, indem sie sich mit zwei frühneuzeitlichen Chanson de geste-Adaptionen beschäftigt. Dass diese Gattung, die seinerzeit bereits eigentlich nicht mehr wirklich ‚aktuell‘ war, immer noch produktiv rezipiert werden konnte, zeigt, wie sehr offenbar immer noch das Bedürfnis bestand, das ‚Andere‘ zumindest in Worte zu fassen und somit in ein Schema zu bringen, das der eigenen Weltdeutung kompatibel erschien.

Insbesondere für eine mentalitätsgeschichtliche resp. artifizielle Zuordnung der beiden Texte ist die Einbettung des „Lober und Maller“ bzw. „Herzog Herpin“ in den gattungsbezogenen Rahmen Chansons de geste von Interesse. Hier stellt die Autorin zum einen beide Texte vor, gibt aber darüber hinausweisend auch einen Überblick zu Forschungsgeschichte und -diskussion. Dies alles liest sich weitgehend stringent, der kurze Exkurs zur Rezeption französischer Heldenepik in Deutschland allerdings erscheint mir nicht zwingend zu sein – und er gibt meines Erachtens auch für die vorliegende Fragestellung wenig Erhellendes wieder.

Damit soll jedoch nur ein marginales Phänomen Erwähnung finden, das quasi analog zu seinem nur bedingten Wert für die Fragestellung diese auch nicht unterminiert. Wesentlich ist, dass Maren Großbröhmer den Mechanismus der Verwendung des Heiden-Terminus in den oder zumindest einen wesentlichen Fokus ihrer Untersuchung stellt. Hier weist sie immer wieder auf die Interpretation von ‚heidnisch‘ mit ‚fremd‘ hin, so dass es scheint, als sei im Rahmen der Chansons de geste die Heiden als Synonym für die Fremden aufgefasst bzw. mit dieser Zielsetzung verwendet wurden.

Dieser Verweis auf einander bedingende Antagonismuspaare scheint der Schlüssel zum Verständnis sowohl des immer wieder erfolgten aktiven Tradierens der Gattung der Chansons de Geste, also der produzierenden Adaption dieser Form von Literatur, als auch des passiven Rezipierens, d.h. des immer wieder aufkommenden Publikumsinteresses an diesen Texttraditionen zu sein. Es scheint demnach auch in der mittelalterlichen Literatur Themenkomplexe gegeben zu haben, die ungeachtet der veränderten Zeitläufte eine gewisse Dauer hatten und daher auch immer wieder be- und verarbeitet wurden.

Die Autorin weist in diesem Zusammenhang auch nach, dass ganz offenkundig beim Terminus der ‚Heiden‘ typologische Muster Verwendung fanden, die mit der historisch-religiösen Wirklichkeit nichts zu tun hatten. Wenn etwa die heidnischen Moslems immer wieder als nachgerade archetypische Anhänger einer ausgeprägten Idolatrie beschrieben worden sind, hat das mit der Bilderfeindlichkeit im real existierenden Islam nicht das Geringste zu tun – und das sollte in den Jahrhunderten eines intensiven Kontakts und Austausches auch zumindest den Gebildeten bekannt gewesen sein, an die sich die untersuchten Texte richteten. Da also kaum Unkenntnis die Ursache für derlei falsche Darstellungen gewesen sein könnte, mag dahinter auch eine pure Ablehnung des ‚Fremden‘, in welcher Form es auch auftreten mochte, stehen. Womöglich liegen die Dinge aber auch insofern ganz anders, als es eher um das traditionsbewusste Weitertradieren älterer Erzählmuster ging, die als „l’art pour l’art“ – zumindest weitgehend – wertfrei erfolgte.

Wichtig erscheint mir, dass die von Maren Großbröhmer untersuchte resp. dargelegte produktive Adaption der Chansons de geste zwar nicht die ‚ewige Wiederkehr des Gleichen‘ bedeutet, um mit Nietzsche zu sprechen, wohl aber von einer inneren Notwendigkeit ausgegangen werden kann, die sich bei durchaus wandelnden Rahmendetails literarisch mit den immer wiederkehrenden Fragestellungen nach der Positionierung angesichts des ‚Fremden‘ auseinandersetzt.

Die Autorin hat ein – auf den ersten Blick – wohl eher peripheres Feld bearbeitet. Gerade aber auch vor dem Hintergrund einer sich in verschiedene Orientierungsräume auflösenden postmodernen Welt mag es interessant sein, sich zumindest zu vergegenwärtigen, dass vergleichbare Phänomene der Verunsicherung und der Suche nach Fixpunkten der Identität bereits in der Vormoderne existierten. Und wenn es auch kaum vorstellbar ist, dass die Lösungs- oder zumindest Bewältigungsstrategien für dieses Empfinden der Verunsicherung heutzutage auch nur bedingt tauglich sind, lassen sich sicherlich Erkenntnisse für die Frage nach allgemein mentalitätsorientierter Fremd- und Selbstverortung gewinnen. Darüber hinaus – und das ist der eigentlich mediävistische Gewinn vorliegender Publikation – gelingt es Maren Großbröhmer, sowohl literaturbezogene Mechanismen der Adaption und Rezeption der Gattung der Chansons de Geste als auch deren ‚Sitz im Leben‘ und damit die Frage nach dem gewissermaßen wellenartig aufkommenden Interesse an den entsprechenden Stoffen und Motiven vorzustellen.

Noch eine randständige Nachbemerkung. Auch wenn es für ‘Traditionalisten‘ immer noch gewöhnungsbedürftig ist, Bücher des Erich Schmidt Verlags nicht in blau sondern rot gehalten zu sehen, ist etwa der Umstand, dass ‚Erzählen von den Heiden‘ fest gebunden ist, trotz dieser ‚farblichen Irritation‘ für den Gebrauchswert des Buchs uneingeschränkt positiv zu werten. Die vorliegende Publikation ist keine ‚Discount-Ware‘, die Anschaffung lohnt aus den vielerlei oben angesprochenen Gründen dennoch.