Die Geschichte Roms
Leonaert Bramers Illustrationen zu Livius’ "Ab urbe condita"

Susanne Wagini betreut als Kuratorin die Sammlung niederländischer und flämischer Maler des 15. bis 18. Jahrhunderts der Staatlichen Graphischen Sammlung in München. Aus der Feder eben einer dieser Meister – die Leonaert Bramers – stammt das hier vorzustellende Konvolut an Zeichnungen, das Wagini als kommentierte Edition vorgelegt hat.

Wohl um 1660, so die Autorin, hatte Bramer eine Illustrationsfolge zu Titus Livius’ „Ab urbe condita“ erstellt, die 2012 mithilfe der Pesl-Stiftung Bayern und der Vereinigung der Freunde der Staatlichen Graphischen Sammlung München e.V. erworben werden konnte. Erstmals taucht die Bildersammlung wohl im Auktionskatalog von Pieter von der Aa auf, einem Drucker und Buchhändler. Dort bietet er 50 Blätter zu der Römischen Geschichte des Titus Livius für einen Verkauf am 24. September 1891 in Leiden an. Die Zeichnungen waren dann 1923 von P. Rosenthal in Berlin und 1927 im Münchener Buch- und Kunstantiquariat von Jacques Rosenthal gelistet worden, nochmals 1990 im Angebot des Londoner Auktionshaus Sotheby’s (no. 126) aufgetaucht und von dort über die Noortmann Gallery in eine belgische Privatsammlung gelangt (bei Wagini unvollständige Angaben auf den S. 22-25).

Diese mehrfach neu aufgezogenen und zusammengestellten Blätter bilden als Reproduktion nun den Hauptteil des anzuzeigenden Katalogs nebst einer Einführung zu dem Künstler, einer kurzen kunstgeschichtlichen Würdigung der Zeichnungen, Erläuterungen der Szenen ausgehend von der niederländischen Livius-Übersetzung des Verlegers Laurens Jacobszoons von 1585 (vgl. S. 19), einer Beschreibung des Klebebands selbst und einem Exkurs zu weiteren Einzelblättern Bramers in München. Ein Literaturverzeichnis, ein Dank und ein Abbildungsnachweis sind nachgestellt.

Der Heiligabend 1596 geborene Delfter Leonaert Bramer ist nicht zuletzt für seine Historienbilder bekannt. Der vielseitige Künstler hatte von 1616 bis 1627 mit Unterbrechungen in Rom gelebt und von dort Eindrücke und Skizzen zurück in seine niederländische Heimat gebracht, die er immer wieder als antikisches Flair in seine Bilder einbaute. In diesen Kontext gehören auch ein Zyklus zu Vergils „Aeneis“ und eine Bilderfolge zum „Leben Alexanders des Großen“, die vermutlich zusammen mit den Zeichnungen zur „Römischen Geschichte“ nach dem Tod des Malers aus seinem Besitz verkauft wurden (vgl. S. 25).

Die Zeichnungen haben annähernd alle das gleiche Format, wurden vom Künstler umrahmt und nummeriert und abschließend an der Umrandung ausgeschnitten. Die endgültige Bindung heute zeigt die Bilder auf größere Papiere mit einheitlichem Wasserzeichen kaschiert in einem Buchdeckel des 19. Jahrhunderts und jeweils einem auf niederländisch und auf englisch verfassten eingebundenen Inhaltsverzeichnis. Eine der 50 Skizzen fehlt: Blatt 15, nach Auskunft der Inhaltsverzeichnisse eine Szene „Flucht der Cloelia“ ist heute unauffindbar (vgl. S. 17). Übertragungen und Faksimiles der Inhaltsblätter sind in vorliegender Publikation enthalten (S. 34-35, 36-37) sowie eine Abbildung des Buchdeckels (S. 16).

Die 49 Illustrationen im Einzelnen abzuhandeln hat Wagini vorbildlich geleistet. Kurz kann man zusammenfassen, dass immer wieder antikische Momente durch Säulen- oder Kapitellfragmente in die Bilder einfließen, häufig niederländische Stadtelemente des 17. Jahrhunderts die Umgebung prägen und Bezüge zu anderen Malern Bramers Zeit gesucht worden sind. Auch Rückgriffe auf eigenen Werke sind auszumachen und sich teilweise wiederholende Gestik. Problematisch ist die Gesamtdeutung: Da über einen möglichen Auftraggeber des Zyklus’ nichts bekannt ist und auch nicht mit endgültiger Sicherheit geklärt werden kann, ob das Klebebuch Bramers Besitz zu seinen Lebzeiten bereits verlassen hat, bleibt auch die Auswahl und zeichnerische Umsetzung der Motive spekulativ: Wagini spricht einigen der in den verschiedenen Szenen vorkommenden Personen etwas Übersteigertes, Karikatureskes zu. Die sich dabei stellende Frage ist, wollte sich Bramer selbst an seinen Zeichnungen erfreuen oder war es ein Entwurf für einen möglichen Verkauf. Sind die denkbaren Überzeichnungen gar ein unter Verschluss gehaltener satirischer Hieb gegen unliebsame Künstlerkollegen? Oder sollten die Bildbezüge eine Anspielung für einen uns unbekannten Betrachter auf wichtige Gemälde der Zeit sein, um die Aktualität des Themas „Antikenmalerei“ zu unterstreichen? Derartige Diskussionen streift Wagini nur kurz und verbleibt in großen Teilen ihrer Arbeit deskriptiv. Der Zielsetzung dieses Bandes tut dies jedoch keinen Abbruch, und die nun in München angekommenen Illustrationen Bramers in hervorragender Qualität mit klugen Beschreibungen und zahlreichen Erläuterungen vorzulegen, ist ein großer Wert an sich, den es hier besonders hervorzustellen gilt.