Paulskirche
Frankfurter Architektur und Geschichte

Orte spielen für ein historisches Bewusstsein eine große Rolle: Sie mahnen an verlustreiche Schlachten wie die Niederlage der Römer im Teutoburger Wald. Sie erinnern an die Geburt oder das Sterben bedeutender Persönlichkeiten wie das Geburtshaus Martin Luthers in Eisleben oder wie das Goethehaus in Weimar. Oder sie weisen auf die einstige oder gegenwärtige politische, wirtschaftliche, kulturelle oder religiöse Größe einer Gemeinschaft hin.

Die geografische Dimension von Weltgeschichte ist heute an vielen Orten nicht mehr unmittelbar zu sehen. Natürlicher Verlust, aber auch bewusste Zerstörungen sind hierfür verantwortlich. Nur selten ist ein Ort für derart wichtig erachtet worden, seine historische Dimension durch den Erhalt einer baulichen Struktur zu bewahren, ein verlorenes Gebäude wieder zu errichten oder in Erinnerung an eine historische Begebenheit diese durch ein Denkmal überhaupt erst architektonisch zu fassen, um Geschichte atmen zu können. Zu einer dieser Stätten in Deutschland ist sicher die Paulskirche in Frankfurt am Main geworden, zu der in der Reihe „Frankfurter Architektur und Geschichte. Publikationen der Frankfurter Bürgerstiftung und der Cronstett- und Hynspergischen evangelischen Stiftung“ die Autoren Walter Lachner und Christian Welzbacher einen sowohl lesenswerten als auch reich bebilderten, übersichtlichen Führer vorgelegt haben. Ersterer zeichnet für die Darstellung der politischen Dimensionen des Kirchenbaus verantwortlich („Politische Vergangenheit und Gegenwart“ und die Zeit zwischen 1852 bis 1946, S. 27-56; „Der Neuanfang“, S. 73-90), letzterer widmet sich der Baugeschichte („Planungs- und Baugeschichte“, S. 10-25; „Wiederaufbau der Paulskirche ab 1946“, S. 59-71; „Ausblick“, S. 91-92). Zahlreiche historische Stiche und Fotografien, Entwürfe aus der Bauplanung, Wiedergaben aus Illustrierten sowie Abbildungen des Rundbildschmucks und der Malerei, ergänzt um moderne Aufnahme von Uwe Dettmar, veranschaulichen hervorragend die Texte.

Der Band holt den Leser 1529 am Bau der evangelischen Barfüßerkirche als Vorgängerbau der Paulskirche ab. Im August 1786 musste die damalige Hauptkirche des Frankfurter Bürgertums wegen Verfall abgerissen werden, wodurch sich gleichzeitig die Chance bot, einen dem gewachsenen Selbstverständnis der Stadtbürger gerechteren Neubau zu initiieren. Sehr detailliert und leicht nachvollziehbar skizziert Weizbacher die Phasen vom ersten Entwurf Andreas Liebhardts 1782 (um 1713-1788) über die Umgestaltung der Pläne durch Johann Georg Christian Hess 1786 (1756-1816), die Bauunterbrechungen bedingt durch die Französische Revolution von 1789 bis 1816 bis zur Fertigstellung der Paulskirche 1833 durch Hess’ Sohn Johann Friedrich Christian (1785-1845). Der gesamte Bau, vor allem aber sein mit markant buntem Sandstein ausgeführter Innenraum, folgte den Prinzipien protestantischer Bauordnung – von denen sich nach der Wiederherstellung des Gebäudes infolge seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg allerdings nichts mehr finden lässt.

Da Frankfurt seit 1816 Sitz des Deutschen Bundes war, stellte die dortige Evangelische Gemeinde der Deutschen Nationalversammlung ihren größten Kirchenbau als Versammlungsort zur Verfügung. So wurde die Paulskirche politischer Austragungsort, zu dem am 18. Mai 1848 573 Abgeordnete aus dem gesamten Deutschen Reich zusammenkamen (vgl. Chronik S. 45-47). Wenn auch die Ziele wie nationale Einheit und Bürgerbeiteilung nicht durchgesetzt werden konnten, hielt sich der Wunsch nach politischer Partizipation, nach Pressefreiheit oder nach einer Rechtsreform noch über die Jahrzehnte hinweg im gesellschaftlichen Bewusstsein, wie Lachner präzis zusammenfassend schreibt. Er spinnt diesen Faden über die Doppelnutzung der Kirche als Gotteshaus und Tagungsort bis zur Kriegszerstörung am 18. März 1944 weiter. 1948, zum Jahrestag der Eröffnung der Deutschen Nationalversammlung also, sollte die Paulskirche als Gedächtnisstätte deutscher Einheit wieder errichtet sein, was Dank zahlreicher Spenden und Mittelzusagen aus allen Zonen des damals besetzen Deutschlands ermöglicht wurde. Mehr als 100 Entwürfe gingen in Folge eines für Hessen ausgeschriebenen Wettbewerbs ein. Gottlob Schaupp (1891-1977), Rudolf Schwarz (1897-1961), der Stadtbaudirektor Johannes Krahn (1908-1974) und der Magistrat der Stadt entwickelten ein Konzept, um die Paulskirche als Sakralbau wie auch als Versammlungs- und Ausstellungshaus zu nutzen. Alle drei Jahre werden hier der Goethepreis verliehen und jährlich der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

Mit einem beschreibenden Rundgang durch die Kirche, der durch zahlreiche Bilder veranschaulicht wird, ist der Leser dann am Ende des Bändchens angekommen.

Es ist ein informativer, sehr gut bebilderter und mit zahlreichen Dokumenten ergänzter Kurzführer, der jedem Besucher der Paulskirche und Interessiertem an der Geschichte um die Deutsche Nationalversammlung 1848 mit Nachdruck zum Lesen anempfohlen ist.