Einführung in die Sagenforschung

“Sagen entstehen primär aus dem Bedürfnis, die Welt zu erklären; in ihrer inhaltlichen Ausgestaltung aber spiegelt sich die Mentalität und die Weltsicht des Individuums wieder, das seinerseits durch die Einflüsse und Bedingungen der es umgebenden Welt geprägt ist.” Petzoldts Einführung hat sich als ein Standardwerk der Sagenforschung im engeren, der Erzählforschung im weiteren Sinne etabliert, nicht zuletzt wegen seines überzeugenden und klaren Aufbaus: (A) “Zur Vorgeschichte der Sagenforschung”, (B) “Probleme der Gattungstypologie”, (C) “Zur Anthropologie der Sage”, (D) “Form, Stil und Struktur der Sage (Morphologie)”, (E) “Zur Motivik der Sage”, (F) “Interdisziplinäre Ansätze zur Interpretation der Sage”. Bemüht um begriffliche Klarheit – von der kontroversen Diskussion um die Begriffe Natur-, Volks- und Nationalpoesie über Hans Naumans These vom “gesunkenen Kulturgut” bis hin zu dem Versuch einer eigenen komplexen Definition von Sage -\–, sind in jedem Kapitel die unterschiedlichen wissenschaftlichen Zugriffe in ihrer Zeitbedingtheit, werden die wichtigsten Schulen und Forschungsansätze angemessen von der Romantik bis zur Gegenwart berücksichtigt. Daß dabei immer wieder auf die Brüder Grimm zurückgeblendet werden muß, ergibt sich von selbst, obwohl, wie Petzoldt betont, deren Sammlung keine populäre Erzähltradition bezeugt. Er legt Wert darauf, den historischen Kontext der Volkserzählungen und ihre oft ideologische Funktion zu rekonstruieren. Ältere Sammlungen sind ebenso konzis besprochen wie die Erzählmotive. “Über ihre konkrete inhaltliche Aussage hinaus hat die Sage [...] eine symbolische Bedeutung, die innerhalb der Gruppe, die sie tradiert, jeweils verstanden und wirksam wird. Die Erzählung wird so zum symbolischen Ausdruck von Normen, Wertungen und Ansichten der Menschen über die sie umgebende Welt und ihrer kulturellen Manifestationen.”