Sich dem Leben in die Arme werfen
Auferstehungserfahrungen

Auferstehen oder Auferwecken

 

Wie im Ersten Testament die Ährenleserin Ruth auf einem abgeernteten Feld Ähren sammelt, um Brot backen zu können, so sieht Luzia Sutter Rehmann die tastende Suche nach „Auferstehungserfahrungen“ im Muster des Lebens, des Alltags, um leben zu können. Das ist das Thema des Buches, welches aus einer Arbeitsgruppe feministischer Frauen entstanden ist, angeregt durch den Verein GrenzgängerIn, einen Verein zur Förderung feministischer Theologie. Reflektierende Beiträge wechseln mit Gedichten von Hilde Domin, Marie-Luise Kaschnitz, Rose Ausländer u.a., „Auferstehung lässt sich nicht ohne Träumen und Dichten erklären, lässt sich nicht rationalistisch-logisch erfassen und diskutieren“ (S.10). Ein Glossar zu Begriffen aus dem Umfeld Auferstehung gibt wichtige Informationen am Ende des Buches.

Die Verfasser entfalten auf vielfältige Weise, lebendig und einfühlsam, eine Sprache, für die Auferstehung „kein Fremdwort“ mehr ist, die Auferstehung im konkreten, gegenwärtigen Leben erfahrbar werden lässt, nicht erst in einem jenseitigen, die die „Glaswand“ wegrückt, die zwischen unserem alltäglichen Leben und den Evangelien entstanden ist. Der herkömmliche Dualismus von Diesseits und Jenseits wird aufgebrochen durch die Erfahrung, daß Leben jetzt schon verändert werden kann. Zeuginnen  sind ihnen vor allem die „Aufstehgeschichten“ der Evangelien. Gegenwärtiges Leben heißt zerbrechliches, bruchstückhaftes menschliches Leben anzuschauen und die Auferstehungskraft aufzuspüren, die in den alltäglichen, widerspruchsvollen Erfahrungen Hoffnung und Lachen weckt. Auferstehung ist nicht gefangen in dem Dualismus von Körper und Seele, der in dem Wunsch gipfelt, von der körperlichen Vergänglichkeit befreit zu werden. Zugleich bedeutet das, die Demokratisierung der Lebenskraft Gottes sichtbar zu machen und Auferstehung aus einseitiger Fixierung auf Jesus Christus und christliche Menschen zu lösen. „Trotz allem zu leben, trotz des Todes zu hoffen, trotz der Schmerzen zu lieben – diese Fähigkeit zeichnet die Menschen aller Zeiten und Kulturen immer wieder aus“ (S.10). Hinter der ungeduldigen Forderung, sich nicht länger vertrösten zu lassen auf ein Leben „später“, nach dem Tod oder wenn die Kinder groß sind oder..., stehen Frauen mit den Erfahrungen des auf Geduld dressierten Eingebundenseins in das, was gegenwärtiges Leben verhindert. Diese Leitgedanken ziehen sich durch das ganze Buch.

Drei Beiträge möchte ich besonders hervorheben. Ivone Gebara schreibt mit beeindruckender Sprachfähigkeit aus dem lateinamerikanischen Alltag mit Frauen heraus, in dem Auferstehung ein wenig benutztes Wort ist.

Umso mehr sucht sie zu beschreiben, welche Inhalte das Wort in ihr wachruft: Verbesserung der Lebensqualität, Sieg gegenüber Todesmächten, mannigfaltige Erfahrungen von Dingen, die leben helfen, Respekt gegenüber dem Leben. Von einer solchen „Auferstehungspraxis“ her haben christliche Gemeinden nach dem Tod Jesu sein Leben gelesen. Bis heute ist die Gemeinschaft, die sich auf Jesus beruft, „eine Gemeinschaft in der Suche nach Auferstehung“, eingebunden in einen Prozess, in dem es keine abschließende Grenze gibt. Ein wichtiger Gedanke ist ihr die Verbundenheit mit den Toten, besonders den Märtyrerinnen und Märtyrern, die Gewalt erlebten und deren zum Schweigen gebrachte Stimme in der Gemeinschaft, die für gerechtes Leben kämpft, weiterlebt. Individualistische Betrachtungsweise von Leben und Tod tritt zurück zugunsten eines kollektiven Schlüssels zu Auferstehung.

Das Verbunden-Sein als Quelle von Kraft ist auch Thema Luzia Sutter Rehmanns: „Wenn die Toten sich ausruhen vom Totsein“. Auferstehen, Lebendigwerden – dazu gehört Ausruhen von Anstrengung, Atem schöpfen. In der frühen jüdischen Mystik werden auch die Verstorbenen in die Sabbatruhe eingeschlossen, sie kommen aus den Gräbern und singen mit der Gemeinde. Sie sind gegenwärtig mit ihren vergangenen Freuden, Leiden, Hoffnungen. „Da, wo die Stimmen der Verstorbenen unsere Lieder mit Wärme erfüllen... wird die Welt durchlässig für den lebendigen Atem, der alles Leben ermöglicht...“ (S.87).

Das Fragen nach Hoffnungen jenseits der Todesgrenze klingt an im Beitrag von Ulrike Metternich. Sie vergleicht ekstatische Erfahrungen in Auferstehungserzählungen des Neuen Testaments mit heutigen Nahtoderfahrungen und sieht hier Spuren der die Grenzen unserer normalen Weltwahrnehmung sprengenden Nähe Gottes.

Zwei kritische Anmerkungen: Das Titelbild verführt zu verharmlosenden, romantischen Vorstellungen, die manche Frauengruppen kennzeichnen, die aber den Verfasserinnen des Buches nicht entsprechen. Das Frauenkreuz der Salvadorianerinnen hätte m.E. den Tenor des Buches getroffen, im Gedenken an die Märtyrerin Maria Christina Gomez – ein Kreuz voller Lebendigkeit, im Mittelpunkt eine Frau mit ausgestreckten Armen: Freut euch, ich lebe!

In theologischer Literatur nicht bewanderte Leserinnen bekommen den Eindruck vermittelt, manche Erkenntnisse seien neue, feministisch-befreiungstheologische Entdeckungen. Daß „auferstanden“ im Neuen Testament mit Verben ausgesagt werden kann, die alltägliche Vorgänge bezeichnen (aufstehen), lese ich z.B. bei  Jaques Pohier, 1980. Daß es um das Aufstehen der Jünger und Jüngerinnen geht, um Veränderung ihrer jetzigen Welt, ebenso bei Pohier oder Edward Schillebeeckx (1974). Die hinzugekommenen, sozialgeschichtlichen Aspekte überzeugen mehr, wenn sie auch Anknüpfungen an „herkömmliche Theologie“, wie es leider oft pauschal in dem Buch heißt, benennen, sich nicht nur in männlicher Manier abgrenzend. Hinweise würden genügen.