Kurt Weill. Briefwechsel mit der Universaledition

Kurt Weill und sein Wiener Verleger

Zwei Briefeditionen liegen bereits vor: der Briefwechsel zwischen Weill und Lotte Lenya (ed. v. Lys Symonette u. Kim K. Kowalke) und die Briefe Weills an seine Familie (ed. v. Lys Simonette u. Elmar Juchem). Der von Niels Grosch edierte und sorgfältig lektorierte Briefwechsel zwischen Kurt Weill und der Universaledition Wien (U.E.) ist demnach der dritte im Bunde. Damit sind nunmehr alle zentralen und großen Briefcorpora Weills erschlossen.

Bei vorliegender Briefausgabe handelt es sich um eine Auswahl. Die Kriterien der Auswahl hat der Herausgeber im Vorwort offengelegt. Bevorzugt aufgenommen wurden solche Briefe, die „ästhetische, kulturgeschichtliche, politische und biographische Aspekte“ (S. V) betreffen. Die Entscheidung, auf eine Gesamtausgabe zu verzichten, ist angesichts des Umfangs des überlieferten Briefbestandes nachvollziehbar und ist doch bedauerlich. Für die Weill-Forschung ist der Wert der grundsätzlich verdienstvollen Edition unbestritten und dennoch geschmälert: Bei editorischen Einzelfragen, die angesichts des mit großer Energie vorangetriebenen und sich realisierenden Projekts einer Weill-Gesamtausgabe in Zukunft zu beantworten sein werden, wird man nicht umhin können, die nicht aufgenommenen Briefe in den entsprechenden Archiven zu konsultieren. Vielleicht wäre es möglich gewesen, diesen Mangel dadurch etwas zu kompensieren, daß man in einem Anhang den Inhalt der nichtaufgenommenen Dokumente wenigstens steckbriefartig umrissen und notfalls dafür die Auswahl der Briefe noch etwas reduziert hätte. Dadurch wäre zumindest der inhaltliche Gesamtüberblick gewährleistet und bei speziellem Interesse ein gezielter Zugriff möglich gewesen.

Die Briefe sind nach Jahrgängen geordnet und umfassen die Jahre 1924 bis 1950. Bis 1932 hat der Herausgeber jedem einzelnen Jahrgang eine kurze Einleitung vorangestellt, die die wichtigsten Ereignisse und Entwicklungen des jeweiligen Jahres resümiert. Die Jahre bis 1950 sind in zwei gleichfalls mit Inhaltsangaben ausgestattete Blöcke untergliedert (1933-1937 und 1946-1950). Diese Einleitungen bieten dem Leser für die nachfolgende Lektüre eine gute Orientierung, sind aber kein Ersatz für einen Kommentar. Der Verzicht auf einen Kommentar aber (man hätte sich dabei Christopher Haileys sparsam, aber instruktiv kommentierte Edition des Briefwechsel zwischen Paul Bekker und Franz Schreker orientieren können) erschwert die interdisziplinäre Zugänglichkeit der Edition. Als Einstiegshilfe wäre eine sparsame Kommentierung gerade für solche Leser hilfreich gewesen, die den Briefwechsel weniger aus einem Weill-spezifischen Interesse heraus konsultieren, sondern kulturgeschichtliche Perspektiven verfolgen.

Den punktuellen Zugriff auf die Briefe ermöglichen ein Personen- und ein Werkregister. Die Entscheidung, in das Personenregister personenbezogene Zusatzinformationen aufzunehmen, gleicht das Fehlen eines Kommentar teilweise aus.

Trotz dieser Einwände, denen eine Entscheidung für eine Briefauswahl sich immer stellen muß, bleibt die große Bedeutung der Briefausgabe als wichtiges musik-, kultur- und institutionsgeschichtliches sowie biographisches Dokument ungeschmälert. Der Leser gewinnt, sofern er die Geduld aufbringt, die Briefe sukzessive zu lesen, nicht nur tiefe Einblicke in das stets problematische und angespannte Verhältnis zwischen Weill und seinem Verlag, sondern auch in die Versuche seitens des Verlags und seines Autors, auf die Spielplangestaltung der Theater im eigenen finanziellen Interesse machtvoll Einfluß zu üben. In den ersten Jahren erscheint der Verlag in schlechtem Licht. Auffällig ist, daß der Verlag Kurt Weill bis 1926 bei der Verbreitung seiner Werke nicht nur wenig unterstützte, sondern auch behinderte: Immer wieder mußte sich Weill über nachlässig hergestelltes, verspätet ausgeliefertes Material und unpünktliche oder gar unterbliebene Honorarzahlungen beschweren. Auch um die Annahme seiner Werke bei den Dirigenten und Theatern mußte sich Weill selbst kümmern. Erst nach dem Erfolg von Mahagonny (Sommer 1927) wendete sich das Blatt. Die U. E. hatte nicht nur begriffen, daß sie mit Kurt Weill den von allen jüngeren Komponisten wohl bedeutendsten und innovativsten Opernkomponisten unter Vertrag hatte, sondern auch Weills Marktfähigkeit gewittert. Sie begann, Weill stärker zu protegieren. Die harte Zeit des Selbstmanagements hatte immerhin Weills Selbstbewußtsein gestärkt. Bis ins Jahr 1933 erwies er sich gegenüber seinem Verlag als zäher Verhandlungspartner und scharf kalkulierender Geschäftsmann, der seinen eigenen Marktwert sehr genau einzuschätzen vermochte.

Der Briefwechsel wird inhaltlich dominiert vom Tauziehen um geschäftliche Vorteile sowie Fragen der Herstellung und einer taktisch geschickten Vermarktung. Im engeren Sinne ästhetische Fragen kommen eher selten zur Sprache. Mit Sicherheit sind solche Aspekte in den zahlreichen persönlichen Begegnungen vor allem zwischen Heinsheimer und Weill mündlich besprochen worden (vgl. Brief Nr. 246) . Der Briefwechsel zwischen Weill und der U.E. zeigt im übrigen geradezu exemplarisch, daß in den Zeiten beschleunigter Mobilität und des Telephons der „langsamere“ Brief seine Rolle als kommunikatives Leitmedium zunehmend einbüßt. Aspekte der Opernästhetik artikulieren sich beispielsweise in Hertzkas kritischen Einwänden zu Mahagonny (Brief Nr. 292) und Weills Erwiderung (Brief Nr. 297). Die von Hans Heinsheimer im Jahre 1929 ausgelöste Debatte zum Verhältnis von Unterhaltungsindustrie und Kunstbetrieb gehört zweifellos, wie Grosch richtig feststellt, zu den interessantesten Momenten der Korrespondenz (Briefe 647 u. 650). Die Vermarktung von Weills Kompositionen wurde von Verlag und Autor denn auch bewußt durch Einzelausgaben der Songs, Songalben, Bearbeitungen für Salonorchester und Schallplattenaufnahmen vorangetrieben. In die Mechanismen solcher Vermarktungsstrategien bietet der Briefwechsel einzigartige Einblicke.

Angesichts einer so umfangreichen Korrespondenz liegt die Frage nahe, ob und wann der Verlag versucht hat, seinerseits kompositorische Projekte zu beeinflussen oder gar anzuregen. Fazit: Die U. E. hat sich weitgehend zurückgehalten, und Weill ließ sich in seinen Anschauungen nicht beirren. In den ersten Jahren hat sich die U. E. ohnehin wenig um Weill gekümmert und sich nicht in die künstlerischen Prozesse eingemischt. Einzig die Ablehnung der verlorenen Oper Na und? hat Weill sehr enttäuscht. Erstmals im Jahre 1929 sind kritische Töne seitens des Verlages zu hören, indem Heinsheimer Weill vom Songstil, den er für verbraucht hält, abbringen möchte. Heinsheimer ist es auch, der im gleichen Jahr Weills Interesse auf die Instrumentalmusik zurückzulenken versucht und ihm die Komposition eines Orchesterstückes vorschlägt. Entscheidende künstlerische Impulse sind von der U. E jedenfalls nie ausgegangen.

Nicht zuletzt dokumentiert der Briefwechsel geradezu seismographisch das sich ab 1930 radikalisierende politisch-kulturelle Klima, das viele Theaterleiter vor der Aufführung Weillscher Werke zurückschrecken ließ und Kurt Weill die Basis seines Wirkens entzog. Hatte sich der Verlag in künstlerischer Hinsicht stets auf Weills kreative Initiative und marktorientierten Instinkt verlassen, so war es nun Hans Heinsheimer, der die Zeichen der Zeit richtig deutete und Weill nahelegte, Deutschland zu verlassen.

Fazit: Eine wichtige Publikation also, die in jeder Hinsicht noch nützlicher ausgefallen wäre, wenn sich der Verlag dazu hätte entschließen können, Nägel mit Köpfen zu machen.