Ökonomik im Mittelalter
. Eine Zeitreise mit modernen mikroökonomischen Theorien

Die Lebensdauer betriebswirtschaftlicher Aussagesysteme verkürzt sich im Zuge des heutigen rapiden wirtschaftlichen Wandels immer weiter, so daß Betriebswirte vollauf mit der Analyse des Heute beschäftigt sind. Es muß daher überraschen, wenn ein Vertreter dieser Zunft sich mit Hilfe moderner mikroökonomischer Theorien und Fragestellungen an die Geschichte heranwagt. Konkret geht es um die Frage, ob sich betriebswirtschaftliche Probleme früherer Zeiten mit betriebswirtschaftlichen Theorien und Konzepten von heute analysieren lassen. Die Beispiele betreffen die mittelalterliche Grundherrschaft, die Herrschaft von Rudolf Brun in Zürich während der Jahre 1336-1360, die achtörtige Eidgenossenschaft, das Söldnerwesen des 16. Jahrhunderts in Zürich sowie das Großunternehmen der Fugger zu Beginn der frühen Neuzeit. Die Schwierigkeiten ergeben sich u.a. aufgrund von in der Geschichte anders gearteten Rechten, Normen und Mentalitäten, so daß sich – so Bruno Staffelbach – das Entscheidungsverhalten in früheren Kulturen mit dem ökonomischen Verhaltensmodell zwar durchaus analysieren, aber nicht erklären und verstehen läßt. Die begrenzte Reichweite moderner Theorien bei der Analyse historischer Prozesse zeigt sich sehr signifikant in dem Beitrag von Lars Börner, der die unternehmerische Praxis der Fugger mit Hilfe der Transaktionskostenökonomik von Williamson zu erklären versucht, speziell die Informations- und Anreizproblematiken. Zwar gelingt es ihm, Grundelemente der Theorie wie begrenzte Rationalität, Opportunismus und Asset Specificity im Großunternehmen der Fugger bzw. in dieser Epoche nachzuweisen, doch waren diese anders ausgeprägt, weswegen die Fugger anstehende Probleme auch anders lösten, als es die Theorie von Williamson vorsieht. Die nur begrenzte Anwendbarkeit moderner Theorien sollte jedoch nicht dazu führen, sie als Historiker beiseite zu lassen. Gerade für die Wirtschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts können sie wertvolle Interpretationshilfen leisten. Andererseits hilft die Historik, das betriebswirtschaftliche Wissen und die abstrakten Erklärungsmodelle um die Dimension der politischen und moralischen Zusammenhänge zu ergänzen.