Das unruhige Schlesien
Krisendynamik und Konfliktlösung vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Neue Forschungen zur schlesischen Geschichte, Bd. 25

Tatsächlich war das vornehmlich von außen angestoßene Konfliktpotential zu einer ‚Unruhe‘ in Schlesien beträchtlich, was der Autor schon im Untertitel zugleich als „positiv“ (S. 12) verstanden wissen will. Auf allen Feldern zeigt sich für ihn die hohe Lernfähigkeit in der Kompetenz zu Konfliktlösungen.

Prominent vertreten sind konfessionelle Spannungsfelder, insbesondere die zwangsweise Durchsetzung des katholischen Glaubens unter den Habsburgern, dem sich die Menschen nach hundert Jahren praktizierbarer Vorliebe für den Protestantismus ausgesetzt sahen. Zwar endete die Entwicklung, insbesondere aufgrund tolerierter Ausnahmeregelungen (Liegnitz, Wohlau, Brieg, Oels, Breslau, Münsterberg) für das Luthertum, mit einer landescharakteristischen „Kulturdualität“ (S. 127), die „sich weitgehend friedlich abspielte“ (S. 13). Folgt man Herzig sollte man trotzdem nicht die Wucht des gegenreformatorischen Aufgebots mit seinen Jesuiten, Minoriten, Franziskanern (allesamt im „feudalen Nexus“; S. 93), das gesamtherrschaftlich gelenkte Arrangement zur Sichtbarkeit der geltenden Konfession etwa durch Wegkreuze, Marienaltäre sowie die demonstrative Bevorzugung des Barock unterschätzen. Flucht wie auch „Kryptoprotestantismus“ (S. 76) boten dazu eine Alternative. Überhaupt wird in Schlesien der „Barockkatholizismus“ zu einer „eminent gesellschaftsprägenden Kraft“, die noch „im 19. Jahrhundert die Basis einer katholischen Identität [bildete]“ (S. 131/132).

Das Kapitel „Judaica“ würdigt eigens den „Beitrag der schlesischen Juden zur Kultur des Landes“ (S. 221 ff.),samt Leistungen in der Sozialwirtschaft. Und dies, obwohl seit der Mitte des 15. Jahrhunderts Juden per Privileg nicht toleriert wurden, mit Ausnahme von Zülz, Breslau und Glogau. Im Grunde hatten Juden „ein Bleiberecht nur aufgrund ihrer wirtschaftlichen Bedeutung“ (S. 170), mit einer „Drei-Klassen-Einteilung“ (S. 223) von gestaffelter Gültigkeit. Ihr Geschäfts-  (als „Finanzagenten des Adels“; S. 193) wie auch Familienleben prägte eine jüdisch-schlesische Sphäre mit, noch bevor sie sich mit dem Emanzipationsgesetz von 1812 im 19. Jahrhundertüppiger entfalten konnte.

Die Allianzen zur Entstehung der Wissenschaftslandschaft Schlesien unter namhafter Beteiligung der Juden kommen in einem gesonderten Kapitel zur Sprache. Nicht zuletzt die Affinität der Judenheit zur deutschen Kultur hilft mit die Pionierrolle der Universität Breslau, insbesondere für die Germanistik (S. 319), zu festigen, sie schließlich generell zu einer „typischen ‚Sprungbrettuniversität‘“ (S. 332) zu gestalten. Die Eliminierung jüdischen Lebens als einem „wesentlichen Element deutscher Bürgerkultur“ (S. 244) in der NS-Zeit entzog somit schon vor ihrer Aussiedlung den Deutschen jenen‚schlesischen Boden’, den sie bereitet hatten. Dass es regional auch zur „Ablehnung der NS-Maßnahmen“ (S. 255) kam, unterstreicht einmal mehr den Faktor der Außensteuerung Schlesiens.

Hausgemachten Siedepunkten von sozialen Spannungen nimmt sich der Autor auch aufgrund der Prominenz von Gerhard Hauptmanns Drama„Die Weber“ (1891) an. Jenen Weberaufstand von 1844 charakterisiert er als einen unter „den Grundsätzen der Moralischen Ökonomie“ (S. 286), also nicht prinzipiell antikapitalistisch. Im Breslauer Gesellenaufstand von 1793 wird die staatliche preußische „Strategie“ deutlich, in den „Reichsstädten[allgemein] die Gesellenordnung zu zerschlagen“ (S. 278).

Schon die „evangelischen Kirchenlieder [als] die einzigen Zeugnisse einer deutschen Nationalliteratur vor 1750“ (S. 133) belegen die eminente Bedeutung von Schlesiens Literatur für die deutsche Nationsbildung. Dafür sind die mehrfachen Konfessionen konstitutiv. Und dies, wie das bis heute wirksame Beispiel des durch sein Pseudonym auf seine Herkunft weisenden Angelus Silesius zeigt, durchaus im Wetteifer: „Johannes Schefflers Konversion bedeutete für die Katholisierungspolitik der Habsburger in Schlesien ein großes Plus und traf das schlesische Luthertum [...] sehr hart“. (S. 397)

Die 29 Aufsätze, zwischen 1987 und 2013 erschienen, weisen den Autor als einen Experten der Frühen Neuzeit aus. Man mag eine der schlesischen Herkunft des Autors geschuldete Wehmut im Ansatz, in der Methode, Präsentation wie Erkenntnisziel als einen inhärenten, grundierenden Aspekt erkennen; ein Sentiment allerdings, das aufgrund der bei Arno Herzig gezogenen Bilanz eines überwiegenden Erfolgs beim (vorzugsweise verordneten) Projekt der Gemeinschaft divergierender Gruppen in Schlesien instruktiv nachvollziehbar wird.