Glossar des älteren Deutsch zu böhmischen Quellen

Wenn Wörterbuchprojekte rezensiert werden, dann steht dabei zumeist – und dabei keineswegs unverdient – das Lebenswerk eines Verfassers oder einer Verfassergruppe im Zentrum der Darstellung. Nicht selten ist es aber auch das Lebenswerk mehrerer Generationen von Wissenschaftlern, das in der Regel gewürdigt wird. Kritische Stimmen werden dabei laut, wenn im Verlauf der Entstehung eines solchen Werkes Brüche oder Änderungen in der Methodik und Darstellungsweise notwendig waren bzw. sich auch einfach aus dem Gegenstand ergeben haben. Zwei immerwährende Diskussionspunkte bei der Wörterbucharbeit sind der Kostenfaktor und die Handhabbarkeit des Werkes. Der Kostenfaktor betrifft einerseits die Genese des Werkes und andererseits den Vertriebspreis. Die Handhabbarkeit betrifft den Umfang des Wörterbüches sowie die Gestaltung der Lemmata. In Verbindung mit beiden Diskussionspunkten steht die Frage der Zielgruppe des Wörterbuches.

Das vorliegende Wörterbuch der Autorengruppe Libuše Spáčilová, Vladimír Spáčil und Václav Bok hat eine Entstehungsgeschichte von nur  drei Jahren. Bei diesem Glossar handelt es sich um eine erweiterte Fassung des im Jahre 2003 von Hildegard Bokova herausgegebenen und kurze Zeit später bereits vergriffenen Wörterbuches „Kurzes frühneuhochdeutsches Glossar“. Die nun vorliegende Fassung ist ein einbändiges Glossar mit einem Umfang von 1015 zweispaltigen Seiten und ca. 50.000 Lemmata. Das Wörterbuch soll nach Aussagen der Verfasser „Historikern, Archivaren, Mitarbeitern von Museen, Studierenden der genannten Gebiete sowie den Germanistikstudenten dienen, kurz gesagt allen, die in ihrer Forschung frühneuhochdeutsche und alte neuhochdeutsche Texte lesen und einen raschen Zugang zu den vielfältigen Bedeutungen der wichtigsten Begriffe benötigen“ (S. VIII). Die Zielgruppe sind primär tschechische Studierende der Geisteswissenschaften, die im Verlauf des Studiums bzw. im Anschluss daran in irgendeiner Form mit der deutschen Sprache konfrontiert werden.

Die Referenzzeit des  Wörterbuches ist im Kernbereich das Frühneuhochdeutsche im Zeitraum von 1350 bis 1650 und darüber hinaus das ältere Neuhochdeutsch bis ins 18. Jahrhundert.

Dem Wörterverzeichnis vorgeordnet ist eine kurze Einführung in graphematische und phonetisch-phonologische Besonderheiten der deutschen Sprache vom Beginn des Frühneuhochdeutschen bis ins 18. Jahrhundert in tschechischer und in deutscher Sprache. Die Verfasser beschränken sich dabei auf eine knappe Darstellungsweise, die sprachhistorische Grundkenntnisse voraussetzt.

Die einzelnen Wörterbuchartikel sind zum Teil recht kurz gehalten. Das jeweilige Lemma wird in der exzerpierten Schreibung zitiert. Bei varianten Schreibungen „wird die dem heutigen Deutsch am nächsten stehende als Leitform angesetzt“ (S. XVI). Es folgen dann alle Varianten, die exzerpiert wurden. Angaben zur Grammatik wurden nur hinsichtlich der Wortart gemacht. Diasystematische Angaben werden nicht gegeben. Die Bedeutungsbeschreibung erfolgt zweisprachig. Zunächst werden die neuhochdeutschen Wortäquivalente in Form einer Wortliste genannt, die gelegentlich durch lexikalische Paraphasen ergänzt werden. Daran anschließend folgen dann die tschechischen Wortäquivalente ebenfalls als Wortliste. In die deutsche wie auch in die tschechische Äquivalentwortliste werden neben den gegenwartssprachlichen Entsprechungen auch historische Wortäquivalente aufgenommen, deren Bedeutungsumfang bzw. deren Konnotation nicht erläutert wird. Beispiel: Lemma – reiter, exzerpierte Varianten – reytter, reuter, reuther, reutter, reüter, reüther, Angabe zur Grammatik – Maskulinum, deutsche Äquivalentliste – Reiter, Reisiger, Berittener, Soldat zu Pferd, Kavallerist, tschechische Äquivalentliste – jezdec, jízdní voják, rejtar. Oder mit der Bedeutungserklärung durch lexikalische Paraphrasen: reißmesse, n.: bei den Goldschlägern ein Messer mit doppelter Schneide, womit die Goldblätter zerschnitten werden – nůž s dvojitým ostřím uživaný zlatníky při rozřezáváni zlatých lístků. Problematisch wird die deutsche wie auch die tschechische Bedeutungsbeschreibung, wenn die Bedeutung des exzerpierten Wortes möglicherweise mit der Bedeutung in den bearbeiteten Quellen übereinstimmt, nicht aber mit der in anderen zeitgenössischen Quellen. Die Bedeutung von „lotterbett“ mit deutsch „Ruhebett, Sofa“ und tschechisch „lůžko k adpočinku během dne, pohovka“ anzugeben ist in dem Fall nicht ausreichend, da die Bedeutung nach deutschsprachigen Quellen aus dem 16. Jahrhundert eher mit „Hurenbett“ umschrieben werden müsste. Zweifelsohne handelt es sich im vorliegenden Fall um ein Lemma mit eher peripherer Vorkommenshäufigkeit. Möglicherweise ist die konkrete Bedeutung in den untersuchten böhmischen Quellen auch überhaupt nicht nachweisbar. Dennoch offenbart sich neben dem unbestreitbaren Wert des Wörterbuches gerade auch in diesen Bereichen des Wortschatzes die Schwierigkeit der Wörterbucharbeit allgemein und der historisch-zweisprachigen Wörterbucharbeit ganz besonders. Es muss ganz uneingeschränkt den Verfassern dieses Wörterbuches Anerkennung für diese Leistung ausgesprochen werden. Das vorliegende Wörterbuch bietet einerseits tschechischen Studierenden wie auch tschechischen Philologen eine effektive Möglichkeit, die in den Archiven und Bibliotheken überlieferten deutschsprachigen böhmischen Quellen zu erschließen und zu bearbeiten. Aber auch für deutschsprachige Nutzer bietet das Wörterbuch eine gute Möglichkeit, historische Texte zu erschließen. Diese einbändige Wörterbuchausgabe mit Lemmata aus den Bereichen Naturwissenschaft, Technik und Alltag der Gesellschaft vom 14. bis zum 18. Jahrhundert ist besonders auch für Studierende und linguistische Laien von großem Wert. Dafür spricht noch dazu der unschlagbare Preis von 350 Kč, der Bezug des Wörterbuches ist allerdings in Deutschland im Moment noch nicht möglich.