Des Kaisers Knechte
Erinnerungen an die Rekrutenzeit im k.(u.)k. Heer 1868 bis 1914

Insgesamt elf autobiographische Aufzeichnungen enthält der Band, deren jeweilige, Textpassagen entnommene Überschriften die bekannte Drastik einer Initiation ins Soldatensein nur bestätigen. Außer einer Charakterisierung wie sie der Umschlagtext werbeträchtig zusammenfasst („Drill, Willkür, Schikanen und Misshandlungen, von endlosem Exerzieren und militärischer Lotterwirtschaft“), hilft das Buch aber gewinnreich, gestützt auf ein bislang kaum publiziertes Quellenmaterial,sich darüber hinaus die mannigfaltige Funktion einer Existenz im k.(u.)k. Heer nun weit(er) reichend vorzustellen.

Auffälligerweise ist der jähe Stoß in eine überdimensionierte (Zwangs-)Familie, verschärft durch die mangelnde Präsenz des anderen Geschlechts, gleichzeitig oft die Abwendung vorheriger großer sozialer Not. Das Militär reizte auch zu beruflichem Aufstieg, um als Organ der Ordnung fortzufahren, beispielsweise der Polizei: Das Heer als ein Arbeitgeber der besonderen Art. Überhaupt bot es den Rekruten die Möglichkeit, „alte Schulkenntnisse gewaltig auf[zu]frisch[en]“ (S. 184); wie ja die „gut geschriebene[n] Lebenserzählung[en]“ (S. 12) sich auch u.a. den in der Rekrutenzeit erworbenen Fortschritten im sprachlichen Ausdruck verdanken. Gleichfalls würdigt die Herausgeberin in ihrem quellenkritischen Teil die Vielfalt der gebotenen Textsorten.

Außer der gefährlich, mitunter tödlich in die Persönlichkeit eingreifenden Disziplinierungen durch Vorgesetzte gibt es Selbstorganisierung, Selbstdisziplinierungen der Rekruten: Die Rede ist vom Austausch von Teilen der Montur zwecks passendem Sitz (S. 37), von „strengsten Märsche[n] ‚ohne Reue‘ (S. 50), von notgedrungen diplomatischem Verhalten provozierenden „Zivilisten“ (S. 65) gegenüber, vom Erwerb von Fremdsprachen bis zum Kennenlernen humaner Vorgesetzter.

Daneben gibt es Beispiele von Disziplinierungen der Befehlsgewaltigen durch ihre Rekruten selbst: Da werden, um den Nachwuchs nicht zu gefährden,übergriffige Feldwebel bestraft und entfernt (S. 119); das Kommando entledigt sich missliebiger Zeugen, welche sich politischer Parteienunterstützung erfreuen (S. 77). Überhaupt bedrohen sichtbare mangelnde Ergebnisse des Exerzierens die Beförderung der Vorgesetzten (S. 42), ja positive Resultate erfordern geradezu einen ‚guten Willen‘ der ‚Knechte‘; schließlich wird der übermäßige Drill der ersten sechs Ausbildungswochen als „Komödie“ (S. 107) zur Aufnahme in den (‚Familien‘-)Kreis durchschaut.

Die Herausgeberin räumt ein, hier nur ‚deutschstämmige‘ (S. 10) Auskunftspersonen vorzuweisen. Aus deren hegemonialer Perspektive kann es beispielsweise optimistisch heißen: „Ein Gemisch von Sprachen ging durch die Säle. […] Die Rekruten saßen oder lagen friedlich nebeneinander. Es gab kein böses Wort oder einen bösen Blick; ein jeder lächelte den Neuankommenden an in dem Bewusstsein: Wir sind ja alle Rekruten.“ (S. 175) – Manche von des ‚Kaisers Knechten‘ konnten sich in einer Institution wähnen, in der es auch der Staat selbst ist, der ‚einem‘ diente – nicht zuletzt als Angebot persönlicher, nationaler, beruflicher Identifizierung. In Hämmerles gewähltem Personal scheinen jene zu überwiegen, die die Armee auch für sich fungibel machen (konnten). In ‚Friedenszeit‘!