Im Spiegel der Sprache
Warum die Welt in anderen Sprachen anders aussieht

Guy Deutscher veröffentlichte bereits 2005 mit dem Titel „The Unfolding of Language“ (deutscher Titel „Ich Goethe – Du Jane“) ein auch außerhalb des sprachwissenschaftlichen Diskurses vielbeachtetes Buch. Der zuerst 2010 erschienene Nachfolger „Im Spiegel der Sprache. Warum die Welt in anderen Sprachen anders aussieht“ (Originaltitel „Through the Languge Glass“) erscheint nun bei C. H. Beck bereits in fünfter Auflage. Deutscher widmet sich in diesem Buch der nach wie vor häufig anzutreffenden Vorstellung, dass die Sprache einen direkten Einfluss auf die Denkweise der Sprecher und damit ihre Kultur ausübe. Interessanterweise will er jedoch den Gegenbeweis antreten zur gängigen Replik der Linguisten, wonach alle Sprachen gleich komplex seien.

Seine Beweisführung gliedert sich in zwei Teile: Im Ersten („Die Sprache als Spiegel“) thematisiert Deutscher die Erforschung der Wahrnehmung von Farben und geht der Frage nach, warum Homer in der Ilias und der Odyssee etwa vom „weindunklen“ oder „veilchenartigen Meer“ spricht. Im Zuge dessen erfährt der Leser, wie stark die Farbwahrnehmungen verschiedener Kulturen voneinander abweichen können und in welcher Reihenfolge die Bezeichnungen für Farben sich entwickeln. Im zweiten Teil („Die Sprache als Linse“) wird der Gebrauch geographischer anstelle egozentrischer Koordinaten in Sprachen wie dem ‚Guugu Yimithirr‘ in Australien als Beweis dafür angeführt, dass die Sprache die Wahrnehmung der Welt beeinflusst: Sprecher solcher Sprachen, die „östlich/westlich des Tisches“ sagen, müssen jede Veränderung im Raum bedenken und sind somit anders sensibilisiert, als etwa im Falle des Deutschen, wo „links/rechts des Tisches“ rein vom Standpunkt des Sprechers abhängt. Schließlich führt Deutscher auch die Genera der Substantive an, die (nicht nur) zwischen dem Deutschen, dem Englischen und dem Italienischen stark variieren und dazu führen können, dass etwa maskulinen Substantive im Deutschen „männliche“ Eigenschaften zugesprochen werden, was in anderen Sprachen dann nicht der Fall wäre.

Der flüssig lesbare Stil des Buches ist zugleich seine einzige wirkliche Schwäche: Einige Erkenntnisse hätte Deutscher eher anführen können. Besonders im ersten Teil wäre dem Sprachwissenschaftler etwas weniger ‚suspense‘ und mehr wissenschaftliche Argumentation sicher entgegengekommen. Dass die sprachlichen Begriffe für Farben wahrscheinlich sogar einen psychologischen Einfluss auf die Farbzuordnung des Sehenden haben, erfährt der Leser erst auf den letzten Seiten. Zugleich muss anerkannt werden, dass Deutscher, als Nebeneffekt sozusagen, einen kurzweiligen historischen Überblick des linguistischen Diskurses bietet, in dem der Leser etwa Sapir, Whorf, Boas und Jakobson kennenlernt und somit die Entwicklungen in der Forschung leicht nachvollziehen kann. Es überwiegt somit die Tatsache, dass das Buch einen fachfremden Leser interessieren und informieren kann, indem es ihm die Inhalte nicht als graue Theorie, sondern farbenfrohe und lebensnahe Wissenschaft vermittelt.

Die deutsche Übersetzung ist indes äußerst gelungen, besonders die mehrsprachigen Beispiele – hier hilft zugegebenermaßen die etymologische Nähe englischen und deutschen Vokabulars, etwa bei „Arm“ oder „Hand“ – fügen sich problemlos ein und lassen keine Übersetzung erahnen (einzig das Beispiel der „Geschichte von den Vögeln und den Bienen“ (S. 245) wäre auf Deutsch womöglich treffender mit „Bienchen und Blümchen“ bezeichnet, aber dies ist auch der einzige Punkt, an dem sich der englischsprachige Originaltext bemerkbar macht).