Das schlesische Riesengebirge. Die Polonisierung einer Landschaft nach 1945.

Bündig fasst Karl Schlögel in seinem ‚Geleit‘ Methode wie Ergebnis des vorliegenden Werks zusammen: Hartwich „macht den Tourismus zum Medium der Transformation der Riesengebirgslandschaft und verfolgt diese bis zu jenem Punkt, wo die Neusiedler sich endlich als ‚Herr im Hause‘ fühlen“ (S. VI). Für Hartwich „bekam die Landschaft ein polnisches Antlitz“ mit „dem Anwachsen neuer Erinnerungsgeschichten, persönlicher Bezüge und eigener Narrationen“ (S. 216). – Wovon konnten die affektiv geladenen ‚Geschichten‘ nun handeln?

Generell war in Polen nach 1945 durch kriegsbedingte Durchmischung die heterogene Bevölkerung vieler Landesteile staatlich zu integrieren. Im Falle des Riesengebirges mithilfe der bestehenden Tradition einer touristischen Infrastruktur, und somit der spezifischen Hypothek, dorthin  im Tourismus ungeübte Menschen zu verpflanzen. Auf weiten Strecken stellen sich die dahin gehenden Bemühungen so dar, dass für die staatlichen (Partei)stellen die Neusiedler in die Gänge kommen sollten, während jene gleichzeitig bei der konkreten Umsetzung die Menschen ständig gängelte.

In der ‚Ho Ruck-Phase‘ (1945-1949) konnte dabei von den Kenntnissen zurückbehaltener deutscher Fachkräfte gelernt, die regionalmythische Figur des ‚Rübezahl‘ polnisch anverwandelt, Ortsnamen polonisiert werden; im Zentrum stand jedoch die Errichtung einer für erholungsbedürftige Werktätige nutzbare Freizeitinfrastruktur, die, im Vergleich mit dem Vorkriegszustand, eher den Charakter einer Nachnutzung zeigte. Reserven gegenüber dem Einzuwurzelnden blieben, nicht zuletzt durch das ‚Grenzregime‘, das dem Individualtourismus Grenzen setzte.

In der Etappe vorhandener Konsolidierung (1954-1970) verließ eine Masse der letzten Angestammten das polnische Staatsgebiet, abgeschreckt von der Politik und im Zuge einer Familienzusammenführung. Dafür kam es zur Möglichkeit von Begegnungen, auch der versprengten ‚Riesengebirgler‘, zahlreich genützt von Menschen aus der DDR, dann von beiden Teilen Deutschlands. Wirtschaftlich lukrativ war dies nicht unbedingt, „Minusbilanzen im offiziell ‚devisenlosen‘ Touristenverkehr“ (S. 172) mussten geduldet werden. In der Grundversorgung waren Einheimische und Touristen oft auch Konkurrenten. Jedenfalls boten die Konfrontationen genug Anlässe für ‚peinliche‘ Vergleiche (so wurde der ‚Weg der Polnisch-Tschechoslowakischen Freundschaft‘  auch als ‚Freund-schaft-weg‘ verunglimpft, 173).

Im ‚Vertriebenenmilieu‘, das der Autor als ‚Gegenansichten‘ nicht ausspart, wurde ganz allgemein „das Riesengebirge, die Dominante der Heimatlandschaft, zum markantesten Teil der Erinnerungslandschaft“ (S. 190). „Das Bild der Heimat war wie festgefroren“, heißt es, und so einer ‚Virtualisierung‘ (vgl. S. 204) preisgegeben.

An Aktivitäten ein überdachendes regionales Gemeinschaftsverständnis zu schaffen fehlte es nicht: durch die gezielte landschaftsbindende Anwerbung von Künstlern, Lokalgeschichten (auch zur Tourismusbegleitung), transnationale Feste (wie die ‚Laurentiusfeiern‘, noch aus Zeiten der böhmischen Krone).

Hartwichs Bilanz der „Wirtschaftspolitik des sozialistischen Polen“ fällt harsch aus: „Für das Riesengebirge bedeutete [sie] einen zweiten Bruch mit seiner Vergangenheit, denn die ‚Hülle‘, die verstaatlichten Ferienheime und die intakte Infrastruktur, blieb erhalten, während die Antriebskräfte, die Partizipation der Einheimischen an Bewirtschaftung und Repräsentation der Region, zum Erliegen kamen“ (S. 219). Man sollte jedoch ein solches Urteil, mit dem Hinweis des Autors auf die „Partizipation der Bevölkerung, die der Fremdenverkehr in Form von Außendarstellung, Dienstleistungen oder Identifikation förderte oder gar erzwang“ (S. 223), deutlich abschwächen. Denn gerade der fast monokulturelle Stellenwert der touristischen Kapazitäten der Region sollte das Potential eines (auch imitatorischen) Lerneffekts aus Begegnungen in ungezwungenerer (Freizeit-)Atmosphäre, und darin ein Bild vom Anderen als Anderen und doch Ähnlichem gewinnen zu können, nicht gering veranschlagen. – Zumal dem Projekt der Landnahme der Riesengebirgsregion von Beginn weg Notwendigkeiten, Nötigungen eingeschrieben blieben. – Im nationalpolnischen Konzept der ‚wiedergewonnenen Gebiete‘ war schließlich nicht enthalten, sie (auch) als ein ‚Geschenk‘ ansehen zu wollen.