Oberst Redl
Spionagefall, Skandal, Fakten

Es macht die Güteklasse dieses Buches aus, von den Ergebnissen der Recherchen zum ‚Fall Redl‘ nichts verraten zu müssen, dafür umso mehr über das Verfahren, das das Autorenduo dabei anwendet. Denn tatsächlich macht der spezifische ‚Stoff‘ Auflagen, dem Moritz und Leidinger mit ihren offen gelegten Prozeduren Rechnung tragen.

‚Alles neu‘ (vgl. S.9) sollte an ihrer Vorgangsweise sein, mit ausschließlich ‚nachvollziehbaren Belegen‘ (vgl. S. 66), und bisherige ‚kreative‘ Aufbereitungen‘ (vgl. S. 63) werden anders verstanden: Letztlich qualifiziert sie als Historiker eine diese Zunft besonders gut anstehende, glaubwürdige Selbstdisqualifizierung: „Allen, die nach letztgültigen ‚Wahrheiten‘ suchen und den Konjunktiv nicht schätzen, denen sei an dieser Stelle dringend empfohlen, die Lektüre abzubrechen“ (S. 74). Mit solch geschäftsuntüchtigem Bekenntnis machen sie sich an ihr Geschäft und strapazieren die Leserrolle mit eigener, kreativer Aufdeckungsleistung, was und vor allem wie sie aufdecken.

Die Weise ihrer Aufdeckung enthält den auch stilistischen Abdruck jener Milieus, die bemüht werden (müssen): So findet das Archiv durch die Wahl von aus ihnen entnommenen Textpassagen als Kapitelüberschriften Eingang; journalistische Quellen schlagen sich stilistisch in charakterisierenden Formulierungen nieder, wie etwa Redl sei „‚kein‘ Sparefroh“ (S. 148), bei dem „Aufnahmen […] in nicht gerade jugendfreien Posen“(S.164) gefunden worden seien. Die Handschrift des Agentenmilieus zieht leitmotivisch durch Signalwörter wie ‚Indizien‘, ‚Ergebnislosigkeit‘ von ‚Bemühungen‘ (vgl. S. 19) den Text, wo Akten vernichtet, Spuren verwischt werden und die Faktenlage sich erst aus dem entstehenden Rest ergibt. Die Durchsetzung des Textes mit Elementen der Regenbogenpresse und deren autorengeleiteter ständiger Wendung in ein ‚Schwarz-Weiß‘ bietet der Leserschaft die Möglichkeit, zwischen einem tatsächlich quellengestütztem ‚Schwarz‘, wahrscheinlichem ‚Grau‘ und bloß mutmaßlichem ‚Weiß‘ zu unterscheiden. Dabei grundiert das Autorenduo permanent informationsreich über die je relevanten gesamtgesellschaftlichen wie detailgeschichtlichen Bedingungen der aufzuweisenden Ereignisse, was die Fülle an verwendetem Archivmaterial (am Schluss) seinerseits beredt belegt.

Die Auflage, die der zu bewältigende Stoff macht, ist anspruchsvoll, wenn es heißt: „Der tote ‚Unredl‘ schien allen Erklärungsmustern seines Zeitalters zu dienen.“ (S. 281) In logischer Konsequenz darauf, nehmen Moritz und Leidinger die Leserschaft mit in ihre Werkstatt, ja exerzieren gleichsam vor, wie man, unter eigener Teilnahme, zu einer auch eigenen (Er)Klärung des ‚Falls Redl‘ kommen kann. Ein solches Verfahren würde noch mehr bestechen als das mit ihm erzielte Ergebnis, würde letzteres bei ihnen nicht dennoch für jene Sicherheit sorgen, welche als Version am wahrscheinlichsten ist. Generell plädieren die Autoren über diesen Fall hinaus dafür, den Beglaubigungswert zu erhöhen und das „Mythenpotential“ (S. 7) zu minimieren.

Das Buch aus der Werkstatt der Autoren verrät äußerst viel davon, verräterische Spione auszuspionieren. Dabei ist es noch eine erquickende Lektüre aufgrund vorgängiger Paradoxie von (auch angeblicher) Faktendichte und flüssigem Stil.