Jesus von Nazareth
Eine Ortsbegehung

Mit diesem Werk legt die Autorin einen interessanten Versuch vor: Einerseits finden sich – zumindest andeutungsweise – einschränkende oder relativierende Aussagen dahingehend, dass es nicht entscheidend ist, genau jene Plätze zu kennen, an denen sich Jesus aufgehalten hat. Andererseits sollen genau jene Plätze Gegenstand der zumeist erstklassigen Fotos sein. Und so ist es nicht erstaunlich, dass sich Vfin des Öfteren zu spekulativen Behauptungen versteigt, wie etwa zu der Aussage, es werde „wohl zu Recht vermutet, dass der ‚Zimmermann’ Josef und sein Sohn Jesus dort [in Sephoris] Aufträge erhielten“. (16) Zuvor (13) wird Jesus bereits eine Tätigkeit in Tiberias unterstellt. Noch etwas kühner erscheint die legendarische Überlieferung, Maria habe am Tempelvorhang gearbeitet: „Wir erinnern uns: Die junge Ehefrau Maria war alleine zu Hause und spann Purpur für die Vorhänge des Jerusalemer Tempels. Als sie zum Brunnen ging, um Wasser zu holen, sprach der Engel sie an. Noch heute gibt es einen ‚Marienbrunnen’, aber ob es sich bei diesem um den authentischen Ort handelt, ist nicht sicher.“ (18 vgl. 20) Hier sollte man die Frage stellen dürfen, wie sich die Autorin die Begegnung Mariens mit einem Engel vorstellt und weshalb hier eine zweitklassige legendarische Aussage überhaupt herangezogen wird.

Obwohl das Buch stellenweise die neuesten archäologischen Ergebnisse referiert, und dies ist durchaus beachtenswert, finden sich auch eine ganze Reihe von Fehlern, etwa wenn es heißt: Josephus habe sich als junger Mann „angeblich den Essenern oder einer vergleichbaren asketischen Gruppierung“ angeschlossen (7). Josephus behauptet von sich, dass er einige Zeit (angeblich drei Jahre) bei dem jüdischen Asketen Banus oder Bannus verbracht habe und ansonsten ein Pharisäer sei. Von einer Mitgliedschaft bei den Essenern ist nicht die Rede. Banus wegen seiner regelmäßigen Waschungen als Essener auszuweisen, dürfte kaum auf Zustimmung stoßen. Der Kontakt zu den Essenern muss auch für Jesus verneint werden. Beide, Jesus wie Johannes, standen den Essern nicht nahe, und zwar ungeachtet der Frage nach der Zuweisung der Qumranschriften, denn sowohl Johannes als auch Jesus eröffneten allen Juden, unabhängig von Herkunft und Status einen Heilsweg ins Reich Gottes. Eine solche Haltung ist für die separatistischen Essener mit ihrem Trachten nach Reinheit völlig indiskutabel. Sehr positiv sei hier bemerkt, dass sich die Verfasserin mit der Qumran-Essener-Frage sehr differenziert auseinandersetzt und die neuesten Überlegungen gegen eine Verbindung von Qumran und der „Sekte“ der Essener bereit hält (7f).

Bei anderen Richtungen jüdischen Glaubens unterlaufen der Verfasserin jedoch weitere Fehler (8): Die Pharisäer glauben nicht an eine Unsterblichkeit der Seele, sondern an die Auferstehung. Dies geht nicht nur aus Apg 23,6.8 hervor, sondern auch aus dem Streitgespräch Jesu mit den Sadduzäern im Mk 12 parr, eine Perikope, die höchstwahrscheinlich auf den historischen Jesus zurückgeht. Die Tatsache, dass dieses Thema ausdrücklich mit den Sadduzäern verhandelt wird, lässt darauf schließen, dass andere Gruppierungen des Judentums sehr wohl diesbezüglich mit Jesus übereinstimmen. Zudem beruhen die Vorstellungen der Pharisäer keineswegs auf rabbinischen Schriften, die es zumindest nach der Selbstaussage des Judentums bis zur Abfassung der Mischna i.J. 200 n.Chr. noch gar nicht gab: Zuvor existierte nur mündliche Überlieferung. Es ist weder gesichert, dass Sikarier und Zeloten ein und dieselbe Gruppe bezeichnen, noch dass es sich dabei um eine Splittergruppe der Pharisäer handelt. Dabei dürften die Pharisäer die Letzten gewesen sein, die Jesus nach dem Leben trachteten. Er lässt sich doch wiederholt von ihnen einladen und diskutiert mit ihnen, wie dies bei den Pharisäern üblich gewesen sein dürfte, über die Auslegung der Überlieferung (48) Was nun das Judentum dieser Zeit betrifft, stellt sich die Frage, ob die Speisegesetze wirklich zu seinen wichtigsten Regeln gehörten (7). Es sind dies schlichtweg die Gesetze, die von uns heute am deutlichsten wahrgenommen werden. Zudem gehören auch andere Weisungen zu den Kaschrut-Vorschriften, wie z.B. die Terminierung, wann eine Mann mit seiner Ehefrau Verkehr haben darf, wann und unter welchen Umständen ein Gerät als „koscher“, d.i. als tauglich gilt, wie bei der Berührung von Toten (Mensch oder Tier) zu verfahren ist u.v.m.

Rätselhaft hinsichtlich der synoptischen Tradition ist die Aussage: „Matthäus hat den älteren Traditionstext, der im Lukasevangelium aufgenommen wurde, ‚spiritualisiert’“(11). Wie stellt sich die Autorin eigentlich die Entstehung der ersten drei „Synoptischen“ Evangelien vor? Des Weiteren wird heutzutage von keinem ernst zu nehmenden Exegeten noch behauptet, Jesus habe sich irgendwelche christologischen Hoheitstitel angemaßt. Er hat sich also sicher nicht als „König der Juden“ bezeichnet (15). Vielmehr handelt es sich hierbei um eine nachösterliche Titulatur. Die Bezeichnung als „Sohn Gottes“ ist zudem an sich völlig unverfänglich: Jeder Davidide konnte sich laut 2Sam 7; Ps 2,7 als „Sohn Gottes“ verstehen und nach Hos 11,1 ist ganz Israel und damit auch jeder Israelit „Sohn Gottes“. Die Bezeichnung stellt somit keine Blasphemie dar! Zu einer solchen wird es erst nach dem Verständnis von „Sohn Gottes“ in der christlichen Tradition, und somit ist dieser „Titel“ sicherlich nicht der Grund für den Tod Jesu. Seine Geburt betreffend ist nicht nur an eine Höhle als Alternative zu einem Stall zu denken. In Frage kommt vielmehr jeder Raum, in dem sich Menschen und Tiere unter einem Dach aufhalten, gegebenenfalls sogar eine Karawanserei, in der nur noch im Erdgeschoß in den Lagerräumen und bei den Transporttieren Platz war, aber nicht mehr in den Zimmern für Reisende im ersten Stock (vgl. 22). Der zwölfjährige Jesus im Tempel gehört eher in das Reich frommer Dichtung als zur Historie: Soll doch damit gezeigt werden, dass der noch religionsunmündige Knabe, vor seiner Bar Mizwa, die Gelehrten an Weisheit übertrifft (48).

Schließlich konnten die ersten Christen gar nicht zum Christentum „konvertieren“ weil es noch gar kein Christentum gab (24). Dieses wird vielmehr erst von der ersten bis etwa dritten Generation ausgebildet. Man ist einfach nur Christ, d.h. man glaubt als Jude oder Nichtjude daran, dass dieser Jesus durch sein Wirken, durch seinen Tod und seine Auferstehung den Menschen Heil gebracht hat.

Es ließe sich die Reihe derartiger Ausstände und Fehlinterpretationen noch fortsetzen: Wo findet sich etwa ntl. die Aussage, dass Andreas und Philippus als Dolmetscher tätig waren (56) oder wieso sollte man annehmen, dass die Apostel bei der Verklärung Jesu auf dem Berg dort Laubhütten errichteten (60)?

Über so manche Aussage gibt es unterschiedliche Meinungen. Man kann darüber diskutieren, aber dies sollte dann auch deutlich gemacht werden. Letzten Endes ergeht es diesem Buch ähnlich wie der Leben-Jesu-Forschung. Sie musste scheitern, weil das NT weitgehend nicht an biographischen Daten interessiert ist. Es ist nun keineswegs verfehlt, einen derartigen Fotoband mit – ich wiederhole: teilweise fantastischen Bildern – zu edieren, aber diese mit mehr oder weniger „historischen“ Schauplätzen zu verknüpfen oder in das Raum-Zeit-Gefüge der ntl. Zeit einzuordnen – das funktioniert eben nicht so gut!