Wüsten – natürlicher und kultureller Wandel in Raum und Zeit.
Leopoldina-Meeting. Veranstaltet von der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Erd- und Völkerkunde zu Stuttgart e. V. am 2. und 3. Mai 2008 in Stuttgart.

Wüsten sind in der heutigen Moderne ein vielfach gebrauchtes Synonym für Lebensfeindlichkeit und Tod. Der koptische Mönch etwa verlässt den religiösen Texten zufolge die Sicherheit des fruchtbaren Nilstreifens Ägyptens, der ihm Nahrung und kulturellen Zusammenhalt garantiert, und er liefert sich in der angrenzenden Sandwüste der Wohlfahrt durch Gott aus. Ebenso lebensbedrohlich ist der Auszug der Israeliten aus Ägypten (Gen 15,22-26), die in der Wüste Schur drei Tage lang kein Trinkwasser finden können.

Trifft der Mensch auf Wüstengebiete, begibt er sich in jedem Falle in ein Risikogebiet, das je nach größerer oder geringerer Nutzung als Zivilisationsraum mehr oder weniger lebensfeindlich ist. Kein Kontinent auf der Erde ist frei von Wüstenbezirken, so dass der Umgang mit diesen ausgeprägten Trockenregionen ein weltweit bekanntes Phänomen ist.

Mit dem Klimawandel werden sich die Trockenregionen aller Voraussicht nach auch auf die bisherigen Halbwüsten ausdehnen und dort erst ökologisch, dann ökonomisch, politisch und letztlich gesellschaftlich große Veränderungen nach sich ziehen. In diese aktuellen Diskussionen mischt sich anzuzeigender Band ein, der auf der einen Seite bereits vollzogene natürliche und kulturelle Wandel darstellt, und auf der anderen Seite noch bevorstehende Umweltveränderungen kritisch beleuchtet. 12 Beiträge hat der Wüstenexperte Wolf Dieter Blümel in seinen Tagungsband aufgenommen, der im Auftrag der Naturforscher Leopoldina in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Erd- und Völkerkunde zu Stuttgart e. V. im Anschluss an die gleichnamige Tagung im Mai ebendort erschienen ist.

Zeitlich oder geografisch gibt es kaum eine Eingrenzung zum Themenkreis „Wüste“ im vorliegenden Band: Mit dem Einsatz der Lumineszenz- und Elektronenspinresonanz-Datierung lässt sich die Landschaftsgeschichte in Trockengebieten rekonstruieren (U. Radtke e.a., S. 243-259), eine Kulturgeschichte der Sahara legt Stefan Kröplin vor (S. 165-191), dessen Betrachtungen von Martin Claussen in seinem Beitrag zur Dynamik der Sahara im Klimawandel ergänzt, die vor 10000 Jahren wesentlich grüner war als heute (S. 151-164); Klima- und Landschaftswandel diskutieren Wolf Dieter Blümel, Joachim Eberle, Klaus Heiser sowie Bernhard Eitel (S. 125-149) und die holozäne Umwelt- und Kulturentwicklung in der nördlichen Atacama skizzieren Bertil Mächtle sowie Bernhard Eitel (S. 109-124).

In die gegenwärtige Diskussion zur Nutzung der Wüstenregionen steuert Heiko Schmid seinen Artikel zu Dubai und Las Vegas als Erlebnisoasen bei (S. 223-242) wie auch Michael Succow und Niels Thevs die Veränderungen der Tugai-Vegetation in der Taklamakan aufzeigen (S. 53-77), Ingo Breuer und Jörg Gertel die Problematik von Eigentums- und Gewohnheitsrechten angesichts einer asymmetrischen Integration an die globale Ökonomie beschreiben (S. 193-206) oder Herbert Popp Fragen zum Wüstentourismus aufwirft (S. 207-222).

Den weidewirtschaftlichen Veränderungen in zentralasiatischen Hochgebirgswüsten widmet sich Hermann Kreutzmann (S. 79-107), und Ernst Giese und Jenniver Sehring beleuchten für Zentralasien das Konfliktpotenzial von Umweltveränderungen (S. 29-52).

Dieser interdisziplinär angelegte Sammelband fragt vor allem, wie sich angesichts wachsender Bevölkerungszahlen und der deutlichen Beeinflussung der Umwelt durch den Menschen Wüsten und Halbwüsten nicht nur ausdehnen werden, sondern sich in ihren bisherigen Lebensräumen verändern und damit ihrerseits das Ökosystem Wüste eventuell negativ beeinflussen können und neue Unsicherheiten mit sich bringen (Hans-Georg Bohle, Trockenräume als Risikoräume, S. 17-28). Sehr gutes Kartenmaterial und jeweils an die Beiträge vorangestellte Zusammenfassungen sowie übersichtliche Schautafeln als auch umfangreiche Bilddokumentationen in Verbindung mit sehr einprägsam verfassten Texten machen vorliegenden Band zu einem wichtigen Übersichtswerk über die Trockenräume der Erde und weist auf zukünftige Veränderungen hin, auf die sich Wüstenbewohner wie die mittelbar von den sich verschärfenden klimatischen Bedingungen betroffenen Gesellschaften einstellen werden müssen.

Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina: Nova acta Leopoldina, N.F. Nr. 373, Bd. 108 ISSN: 0369-5034