Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918

Nachdem diese zusammengesetzte Staatsformation als Schauplatz, zwar ungleich verteilt, ‚hybrider Befindlichkeiten‘ figuriert, die ‚Habsburgermonarchie‘ kulturell konstruierend, stellt diese mit den „heute weithin sicht- und wahrnehmbaren Prozesse(n) der Hybridisierung“ (S. 339) einen sozialkulturellen Vorläufer, Präzedenzfall dar. Da, so die Autorin resümierend, „(somit) das >kakanische< Subjekt dem postkolonialen Subjekt nicht unähnlich (ist)“ (S. 376), verwundert nicht, dass sie eingangs thesenhaft formuliert: „Die Habsburgermonarchie kann in diesem Sinn als Experimentierstelle für die EU wirken, sowohl in sprachpolitischer Sicht, aber auch im Hinblick auf die Statuszuweisung von Sprachen und die funktionale Gestaltung komplexer mehrsprachiger Situationen.“ (S.17/18) – Ihr spezifisches Erkenntnisobjekt rückt sie dabei wohlweislich von „>kolonialen< Dimensionen“ (S. 27) tendenziell weg, da die dichte Gemengelage sowie die Streulage wirtschaftlicher Zentren die Herrschaftsverhältnisse ‚Altösterreichs‘ als überaus eigen charakterisieren.

Gewiss richtet sich die Studie hauptsächlich an ein translationswissenschaftliches Publikum. Mit ihrer theoriegeleiteten Basis, ihrem fachlichen Begriffsinventar, dem differenzierten Aufriss einer Trennung von ‚polykultureller Kommunikation‘ und ‚polykultureller Translation‘ einerseits sowie ‚transkultureller Translation‘ andererseits, gewinnen die hin- und herschießenden, rückkoppelnden diversen Übersetzungsgeschehen an Konturen; der ubiquitär verwendete Begriff der ‚Multikulturalität‘ wird zur besseren Kenntnis der Sachlagen fallengelassen. – Alles in der erkennbaren Absicht, durch den Aufweis der eminent kulturkonstituierenden Funktion des vielfältigen ‚Übersetzens‘ das Fach als solches aufzuwerten. Letzteres ist nur allzu verständlich, sind doch „(d)ie Gründe für die notorisch pekuniär und ideell unterdotierte Übersetzungstätigkeit nicht zuletzt auf eine international mangelnde offizielle Anerkennung des translatorischen Gewerbes zurückzuführen“ (S. 216).
Die analysierten Verhältnisse in der Habsburgermonarchie lassen den Schluss zu, dass die Dimension des ‚habitualisierten Übersetzens‘ (durch Dienstboten, Handwerker, ‚Tauschkinder‘, Schulen, Militär/Dienstsprache) gegenüber dem ‚institutionalisierten Übersetzen‘ (Gericht, Redaktion, Diplomatie, Operettentexte, Küchengerichte) insofern überwiegt, als letzterer Bereich oft auf Selbstinitiativen, einer „Eigenveranlassung“ (S. 193) beruhte, informell blieb. – Paradox, jedoch verständlich wird die gesetzeskonforme Umsetzung des sogen. Artikel 19 (Gleichheitsgrundsatz der Nationalitäten) hier im Effekt so dargestellt, dass sie den nationalsprachlichen Separierungsprozess nebst nationalistischen Ideologien vorangetrieben hat. Parallel dazu schlug jedoch die Stunde der somit sich (noch mehr) professionalisierenden Dolmetscherinnen und Übersetzer, als „Relaisstationen zwischen der zentralen Staatsgewalt und den BürgerInnen“ (S. 191).

Ins Dickicht zur Lichtung der konjunkturellen Schwankungen der wechselseitigen Rezeption des Königreichs Italien und ‚Altösterreichs‘ anhand von Beispielen literarischer Übersetzungen, begibt sich die Autorin mit ihrem Modell des ‚Vermittlungsraums‘; als Paradigma unterbreitet.

Wolfs Resultate aus der gewählten Historie halten zur Berücksichtigung für die Gegenwart fest: Multiethnischen Gesellschaften ist ein Spannungsgefälle „zwischen Gebrauch und Prestige […] eigen; aus einer solchen funktionalen Asymmetrie ergibt sich schließlich eine di- oder polyglossische Hierarchisierung von Sprachen, die die Herrschaftsverhältnisse widerspiegelt“ (S. 369). — Ihr Befund bringt es aber auch mit sich, eine Art Hommage zu sein, für die zahllosen (notgedrungen) unbekannt gebliebenen Menschen, die gedolmetscht haben.