"Die Landschaft Bukowina"
Das Werden einer Region an der Peripherie 1774-1918

In einem Fall, der geradezu bilderbuchartig die gängige These von der Konstrukthaftigkeit, im gegebenen Beispiel teilstaatlicher Territorien bestätigt, hat Kurt Scharr dies für die Bukowina unternommen. Die Genese dieses 'Kompositums' (B. Mazohl, S. 12) Bukowina führt er uns vor als sukzessives Ergebnis 'raumordnender' (S. 25) sowie 'raumbildend[er]' (S. 26) Maßnahmen von Institutionen der Habsburgermonarchie seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts; und dies stets auch über Gefährdungen hinweg, die den schließlich gelungenen Ausgang dieses Projekts offenbar keineswegs als bereits garantiert erscheinen hat lassen.

Also noch in vornationaler Epoche geriet der ins Zentrum genommene Raum vor allem als strategischer ins Kalkül der Habsburgerherrschaft; schon was dies betrifft ein 'sanft' zu nennender Erwerb, da dieser aufgrund seiner peripheren Lage für die bisherige Inhaberschaft des Osmanischen Reichs vernachlässigbar schien. Ebenfalls für unkriegerisch kann das Arrangement von zweierlei Kaiserreichen, namentlich mit dem des russischen Nachbarn, genommen werden, ein Vorgang, der den Verfasser die Leserschaft generell daran erinnern lässt, 'dass eine Grenze im Verständnis des modernen Territorialstaates letztlich zwei in ihrer politischen Grundkonzeption gleichrangige Partner benötigt, nicht nur um gezogen, sondern auch um vollzogen werden zu können.' (S. 241)

Äußerer Sicherheit bedarf parallelisierend einer Attraktivierung der Region für ihre Bewohner, was durchaus gegen Widerstände, besonders durch persistierende Feudalbedingungen sowie mancherlei Misserfolge innerhalb der Ansiedlungspraxis, durchgesetzt und vollzogen werden musste. Ohne dem dabei waltenden gewichtigen Einfluss von (kron)länderspezifischen, regionalen Interessensträgern auf die Konsensbildung mit der Wiener Zentrale, wäre, laut Verfasser, die Entwicklung nicht überwiegend gedeihlich verlaufen. - Letzteres im positiven Kontrast zu Hans-Christian Maners Darstellung des Kronlands 'Galizien', die sich kaum von der einer 'Grenzregion im [vornehmlich ausbeuterischen] Kalkül der Donaumonarchie' zu lösen vermag (H.-C. Maner: Galizien. München 2007).

Die 'Inwertsetzung' (S. 29) der Bukowina, die 'Analyse raumwirksamer Gestaltungsprozesse sowie ihrer Veränderung in der Zeit' (S. 18), wird bei Scharr in einer die Disziplinen Geschichte und Geographie an sich eher seltenen, nämlich verschränkenden Weise exerziert. Entsprechend erscheint auch der 'Mehrgewinn' (S. 21), resultierend aus der 'übergeordnete[n] Fragestellung nach dem Entstehen, der Formung und Prägung einer kulturlandschaftlichen Einheit' (S. 18).
Im Zuge dessen werden etwa die Metamorphosen einer Wahrnehmung von den Konturen der Bukowina anhand der kartographischen Entwicklung sinn(en)fällig illustriert. Und als Draufgabe erscheinen auch, im 'Anhang', ein Abriss über Themen und Inhalte der relevanten Archivbestände, neben einem Verzeichnis jener Ortschaften, die die politische Administration gewechselt haben. Figuriert das eine als Einladung, sich der Region forschend anzunehmen, dient letzteres der Orientierung innerhalb des aktuellen Zustands. ' Insgesamt entspricht es der Intention des Verfassers, die (aus zentraleuropäischer Sicht) Ferne dieser 'Landschaft' überwinden zu helfen, sie, neben ihrer vorhandenen geopolitischen Position, gleichsam her(ein)zuholen.

In Kurt Scharrs Präsentationsweise 'nimmt' die Bukowina wahrhaft 'Gestalt an', sodass ihr bisherig landläufiger Ruf, nämlich eine Atlantis zu sein, im selben Maße einleuchtet wie auch abzunehmen vermag: Das Modell einer (überwiegend) gelungenen, gedeihlichen, ausreichend allseits profitablen teilstaatlichen Sozialform, eines, das zur Realität geworden schließlich, von und zwischen totalitären Führungen zerrieben, auf deren Restbestände entschwunden ist. Scharr zeigt die gegenwärtigen Bestände auf, und schließt eine Wiederbelebung eines gemeinschaftlich wachsenden 'Landschaftsbewusstseins' ' mithilfe ' seiner Reste nicht aus. Konsequenterweise schon deshalb konnte es dem Autor um Vollständigkeit nicht zu tun gewesen sein.

Der Autor hat das seinem Thema innewohnende Potential effektvoll genützt, es als ein hoffnungsgebietendes geschichtliches Beispiel zu offerieren.