Österreich 1918 und die Folgen
Geschichte, Literatur, Theater und Film

Einmal mehr hat ein aus einer Tagung 2008 in Los Angeles hervorgegangener Sammelband der US-amerikanischen Kulturwissenschaft, mit ungarischer und österreichischer Unterstützung, sich, in diesem speziellen Fall, der 'Bewältigung des Traumas von Niederlage und Zerschlagung des Habsburgerreiches'(S. 8) angenommen.

In diesem Bestreben scheint der knappe Problemaufriss Peter Lowenbergs zur Orientierung hilfreich, ja notwendig angesichts eher seltener Respektsbezeugungen gegenüber der österreichischen Zwischenkriegszeitgesellschaft, wie folgender: 'We should acknowledge the substantial social achievements of the first republic in a world of catastrophic loss and economic and political uncertainty.'(S. 21)

Auch die Beibehaltung einer nach wie vor 'dualistisch' zu nennenden Geschiedenheit von zweierlei Gepflogenheiten im Erinnern und Vergessen im heutigen Österreich und Ungarn (B. Rásky) drängt sich wohl begründet auf: Eine auffällige Diskrepanz zweier 'Kälten' also zwischen Ungarn, wo einerseits das Jahr 1918 als 'kalte und grimmige Erinnerung an den eigenen Großstaat' (S. 58) grassiert, und andererseits Österreich, in dem, laut dem Zeithistoriker Oliver Rathkolb, '1918 ein kalter und vergessener Erinnerungsort geworden [ist], der mühselig als Lexikonwissen erhalten bleibt' (Die Presse, 29./30.12.2007).

Zur solcherart motivierten Gedächtnisauffrischung eignen sich die mit ihrem Werk wie auch Leben gleichermaßen als repräsentativ für das problematisierte Thema anzusehenden Exponenten Hermann Broch und Franz Theodor Csokor vortrefflich. Die den beiden gewidmeten Darstellungen beweisen einmal mehr, wie noch immer schwierig die 20-er und 30-er Jahre auf Begriffe zu bringen sind: Leider erfahren wir über Broch, der immerhin theoretisch eine Kontinuität von noch in der Spätphase der Monarchie entwickelten Mentalitäten bis über deren Bestand hinaus verficht, nicht viel mehr als von ihm selbst. ' Auch hintertreibt der Beitrag zu Csokor die erklärte Absicht des Verfassers, das Drama 'Dritter November 1918' 'nach ästhetischen Gesichtspunkten beurteil[en] zu wollen, indem er den Dramenautor dann erst recht 'entweder moralisch oder dichterisch versag[en]' lässt (S. 98).

Für nicht hoch genug eingeschätzt werden kann der Beitrag, zur 'ostjüdischen Zuwanderung nach 1918' (H. Schreckenberger), mit den xenophoben 'Reaktionen' der erst sich als Gemeinschaft konstituierenden Neu-Österreicher befassend. Bildet doch diese ausmusternde 'Ent-Österreicherung' die erste Basis für einen schließlich dann während des Dritten Reichs komplettierten Vorgang, sich nachhaltig dieser Ko-Nationalen für die Zweite Republik nach 1945 zu berauben.

Ein weiterer Abschnitt erinnert eindrucksvoll an den verheißungsvollen Nachhall der kulturellen Zentralität, eines stilbildenden 'Theatergeschehens' (E. Deutsch-Schreiner) in der Metropole Wien, weit über Österreichs damalige Grenzen hinweg; allerdings ohne Fortsetzung. ' Im Ergebnis ist man fast versucht zu denken: 'So viel Ende war nie'!
Karl Müller setzt sich den um sich greifenden literarischen Auseinandersetzungen mit Wahrnehmungen und zugehörigen Befindlichkeiten des 'Inflationären', konkret wie metaphorisch gefasst, auf die Spur. Das 'Inflationäre' als Konfiguration wird dabei unschwer registrierbar in seinem selbst hinwiederum inflationären Gebrauch; was übrigens als markantes Indiz für die so umfassende wie verbreitete, 'gewaltige' Überfordertheit vieler Menschen im schließlich auch bürgerkriegszeitlichen Österreich (und darin keineswegs ein Einzelfall) gelten kann.

Kann zwar über filmische Thematisierungen Altösterreichs in Michael Hanekes Filmwerk (F. Naqvi) sowie weiteren Beispielen (R. Dassanowsky) berichtet werden, bleibt dennoch die ernüchternde Feststellung, '(that) a national cinematic landscape largely avoids the trauma of 1918' (S. 196).

Angesichts solch aussparender Zurückhaltung ist das Ansinnen der Beiträgerinnen und Beiträger umso verdienstvoller, das 'Wegbruchtrauma' (P. König) als solches, und nicht wie so oft isoliert das 'Anschlusstrauma' fokussiert zu haben; damit nicht, wie Karl-Markus Gauss dies aus der geübten Praxis in Österreich beklagt, 'seine lange, in die Monarchie reichende Vorgeschichte aus dem Gedächtnis der Republik getilgt'(Ins unentdeckte Österreich. 1998) wird. ' Letztlich zum Gewinn all jener, die das heutige Österreich kennen wollen.