8. Pöchlarner Heldenliedgespräch
Das Nibelungenlied und die Europäische Heldendichtung

Die 'Pöchlarner Heldenliedgespräche' sind im Kontext der germanistischen Mediävistik ' und hier natürlich insbesondere der Heldendichtungsforschung ' kaum mehr wegzudenken. Durch den Tagungsort bedingt stand und steht natürlich insbesondere die Nibelungenmotivik im Mittelpunkt der jeweiligen Tagungen ' so auch im vorliegenden Band.

Vorweggeschickt sei ein tragischer Umstand: Nachdem die Herausgabe der ersten sieben Bände in den Händen Klaus Zatloukals lag, hatte mit dem vorliegenden Band wohl eine Doppelherausgeberschaft anheben sollen, die jedoch durch den tragischen Umstand überschattet bzw. unmöglich gemacht wird, dass einer der Herausgeber, Alfred Ebenbauer, nicht mehr am Leben ist. Unter diesen Umständen lassen sich die 8. Heldenliedgespräche gewissermaßen auch als eine Art Vermächtnis Alfred Ebenbauers ansehen, der an den vorangegangenen Tagungen und auch Tagungsbänden mitwirkte.

Bemerkenswert an vorliegendem Band ist der Umstand, dass ' obgleich der Bandtitel eine thematische Beschränkung vorzugeben scheint ' ein sehr breit gestreuter Querschnitt hinsichtlich zeitlicher wie auch räumlicher Ausdehnung abgedeckt ist. Die Spanne reicht von der Beschreibung bestimmter Aspekte des Heldischen über europäische Traditionslinien bis hin gewissermaßen zur Gender-Thematik, die ja auch im Nibelungenlied selbst eine nicht unwesentliche Rolle spielt.

Vielleicht im Sinne eines mytholgoisierenden Erklärungsansatzes ist in vorliegendem Band der Beitrag 'Furor Heroicus' Helmut Birkhans zu lesen, der bestimmte schamanistische resp. verwandte religiöse Traditionen im Kontext der Heldendichtung verfolgt. Das 'Heldenepos als Medium historischer Erinnerung' bringt Georg Danek unter Bezugnahme auf Homer, aber auch südslavische Heldenüberlieferung in Erinnerung. Wolfgang Dinckelacker befasst sich eher mit Dichtungsstrukturen und behandelt diese in Bezug auf das Nibelungenlied unter dem Titel 'Spielregeln, Gattungsregeln'. Der verstorbene Alfred Ebenbauer selbst ist mit einem weit ausgreifenden Beitrag zur Unverwundbarkeit des Helden vertreten, der die entsprechende Phänomenik im Umkreis europäischer Heldengestalten darstellt und untersucht. Die sich auf mehrere Zeitebenen beziehende Frage nach der Rezeption von Heldenstoffen wird im Beitrag John L. Floods zur 'Präsenz der Heldenepik im Bewusstsein des 16. Jahrhunderts' für die Frühe Neuzeit dargestellt und diskutiert; dieser Aufsatz ist insbesondere auch für die Fragestelltung nach einer 'Soziologie des Heldenepik-Publikums' in der Zeit beginnender Urbanisierung von Interesse. Zeitnäher ' zumindest was Rezeption und Urheberschaft angeht ' liegt da Peter Göhlers Untersuchung zum 'Platz des Nibelungenliedes im literarischen Ensemble um 1200'. Hier wird ' und das in wesentlich expliziterem Maße als das bei Handbuchdarstellungen der Fall ist und sein kann ' die Frage nach den Lese- bzw. Rezeptionsgewohnheiten eines hochmittelalterlichen Publikums gestellt, das eben nicht nur das Nibelungenlied oder eine andere Dichtung der Zeit las resp. hörte, sondern ein ganzes 'Dichtungsbündel' rezipierte.

Ein nicht unwesentlicher Beitrag entstammt der Feder Walter Haugs, der ' wie er selbst in der Vorrede zu seinem Aufsatz anmerkt ' seit drei Jahrzehnten ein zu Andreas Heuslers Entwurf alternatives 'Heldenmodell' herausgearbeitet und bearbeitet hat. In der vorliegenden Veröffentlichung werden neben dem Nibelungenlied auch irische bzw. walisische Überlieferungen herangezogen, um diesem Alternativmodell einen weiteren stimmigen Mosaikstein hinzuzufügen. Interessant ist dieser Beitrag natürlich aus prinzipiell motivtheoretischem Blickwinkel, aber eben auch als Fortsetzung dessen zu sehen, was Walter Haug im Laufe seines Forscherlebens zu diesem Thema schon beigetragen hat.

Vielleicht etwas 'exotisch' nimmt sich Thordis Hennings 'Französische Chansons de Geste in der Germania vor 1300' aus, worin mittelhochdeutsche Bearbeitungen der entsprechenden französischen Stoffe untersucht werden. Sozusagen im Schatten der aus dem französischen Bereich übernommenen Artusdichtung stehend, waren die entsprechenden Stoffe nie gleichermaßen wie eben diese höfische Dichtung beliebt, was unter anderem an der recht häufig auf einen französischen Publikumskreis abzielenden Inhalte gelegen haben dürfte. In jedem Falle ist es interessant, auch diesen Motivkreis in die Heldendichtungsdiskussion einbezogen zu sehen.

Mit Johannes Kellers Beitrag zum Symposion 'Wildern im Mythos' werfen sich ' wie der Autor gleich einleitend bemerkt ' mehr Fragen auf, als Antworten gegeben werden. Keller verfolgt einen mythostheoretischen Ansatz, der durch allgemein formale Rahmenkomponenten erweitert im Hinblick auf das Motiv des 'magischen' Schädels, vornehmlich als Trinkgefäß in der germanisch-deutschen Heldendichtung Anwendung findet.

Fritz Peter Knapp behandelt 'Das Wunderbare im deutschen und französischen Heldenepos um 1200' und schlägt mit seinem Beitrag eine Brücke zur Überlieferung sagen- bzw. märchenhafter Motive in den kontinentalen Dichtungen des Hochmittelalters bzw. deren Einbindung in eigentlich andersartige Dichtungsschemata.

Ein 'komparativer Ausblick auf die Vorgeschichte der Siegfriedsage' (so der Untertitel) wird unter der Hauptüberschrift 'Drachenkampf, Werbung, Initiation' von Aleksandar Loma geboten. Auch wenn sich der Autor vornehmlich auf die germanisch-deutschen Überlieferungen stützt, wird ein knapper Vergleich mit den südslawischen Verhältnissen geboten, über die Aleksander Loma seit geraumer Zeit forscht, so dass ein knapper, aber durchaus anregender Essay zur Vertiefung dieses komparatistischen Ansatzes einlädt.

Ebenfalls in den komparatistischen Kontext gehört Volker Mertens' Beitrag 'Schwesterrache ' Illias ' Ossian', in dem unter Bezugnahme auf eine versepisch gehaltene Neuerscheinung 'Freddy Neptune' des Frühjahres 2004 die wiederholte Aktualität des Versepos einerseits konstatiert, vor allem aber auf die entsprechenden formalen Aspekte für das Verständnis der entsprechenden Inhalte abgehoben wird. Auch Volker Mertens betont unter knapper Zugrundelegung der Forschungsgeschichte durchaus das Wandern bzw. die Verwandtschaft bestimmter Motive der heldenepischen Überlieferung ' und bringt sie unter Verweis auf den eingangs erwähnten Titel in den Status überraschender Aktualität.

Von anderer Aktualität ist Lydia Miklautschs Beitrag 'Müde Männer ' Mythen: Muster heroischer Männlichkeit in der Heldendichtung' insofern, als unter der Einbeziehung von Gender-Aspekten die Rolle des 'Mythos Mann' allgemein bis hin zur Gegenüberstellung von Siegfried und Dietrich als konkreten Ausformungen heroischer Gestalten der Dichtung die Werte des Heldischen grundsätzlich zur Disposition gestellt bzw. als kulturübergreifendes Phänomen des 'Ursprungsmythos von Männlichkeit' dargestellt werden.

Im weitesten Sinne zwar auch mit Geschlechterrollen, allerdings eher im Sinne bereits in der älteren Forschung verankerter Forschungstraditionen, befasst sich der Beitrag Victor Millets zu 'Brautwerbung und gescheiterter Exogamie in der Burgundensage und in anderen europäischen Heldendichtungen'. Neben der Einbeziehung des Nibelungenliedes bzw. verwandter germanischer Dichtungen wird unter anderem auch der walisische, also keltische; Überlieferungskreis zur Erleuchtung des Brautwerbungsmotivs herangezogen.

Mit Norbert Voorwindens Beitrag 'Ich bin ouch ein recke und solde krone tragen' werden Verbindungen zwischen der Welt literarischer Fiktionalität und realer Herrschaftssymbolik hergestellt. Unter Zugrundelegung der Herrschaftslegitimation in Nibelungenlied und Kudrun werden in diesem Zusammenhang die realen politisch-philosophischen Herrschaftsdiskurse des Hohen Mittelalters diskutiert und somit ein interdisziplinärer Ansatz geliefert.

Im Kontext des 'Heldenliedgesprächs' nachgerade ketzerhaft nimmt sich der Aufsatz von Ulrich Wyss, 'Hier ist wirklich mehr epischer Stil als in den Nibelungen', aus, der ' unter der Bezugnahme auf Jacob Grimm im Titel ' das Nibelungenlied als, zumal formal quasi endgültige, 'Referenzdichtung' der deutschen oder gar europäischen Heldendichtung des Mittelalters zugunsten französischer Dichtungen dieser Art zumindest relativiert bzw. auf seine rein dichterische Qualitäten hin untersucht und neue Blickrichtungen skizziert.
Julia Zimmermann schließlich befasst sich ('frouwe, lat uns sehen iuwer spil die starken') mit 'Weitsprung, Speer- und Steinwurf in der Brautwerbung um Brünhild'.

Im Zusammenhang vor allem mit der Nibelungenliedforschung, aber auch der Diskussion um die Heldendichtung ' nicht nur im deutschen Mittelalter ' allgemein sind die Pöchlarner Heldengespräche und ihre Dokumentation eine feste Größe geworden. Dies lässt sich auch für den vorliegenden Band sagen, dessen weitgefächerte Themenbreite deutlicher, als das bei den bisher erschienenen Bänden der Fall ist, eine breite Vernetzung mit breiteren europäischen Traditionen vergleichbarer Provenienz erkennen lässt und somit auf verdientes Interesse stoßen wird.