Shômon II. Haiku von Bashôs Meisterschülern

Gewiß bleibt der Übersetzer literarischer Werke sehr oft unbedankt, die 'geschäftigen Kuppler' (Goethe) leisten nicht selten eine so mühselige wie unscheinbare Arbeit. Dort aber, wo mit ihrer Hilfe, ihrer Energie, ihrer Einbildungskraft erst sichtbar gemacht wird, was zuvor kaum erkennbar, gar verborgen geblieben war, wo sie 'entdecken' und dies in einer Weise, die dem Original so viel wie nur möglich von seiner Eigentümlichkeit beläßt, anstatt es hinüberzuzwingen in eine scheinbar vertraute, in Wahrheit entstellende Fremdheit, muß etwas gesagt werden, so lange wir noch einen Rest von dem erhalten wollen, was vormals literarische Gesinnung heißen mochte.
Dies gilt für die Übersetzung (einem nun als Band II vorliegenden Unternehmen) der Haiku-Dichtungen aus dem Schülerkreis von Matsuo Bashô. Der erste Band von 'Shômon', in Deutschland kaum wahrgenommen, ist immerhin in Japan bemerkt und sogar ausgezeichnet worden; auf den nunmehr vorliegenden zweiten Band soll zumindest hingewiesen werden, denn die Leistung des Übersetzers ist hier nicht allein Ergebnis eines bewundernswerten Spürsinns, der sich mit Fleiß und Phantasie zusammengetan hat: nicht nur die Übersetzungen sind von hervorragender, ja seltener Qualität; es überzeugt auch der Kommentar, der uns manches erst erschließt, was zuvor kaum oder gar nicht zu bemerken war (wobei auch der japanische Urtext in zugänglicher Transskription hilfreich werden kann). Auch gelingt es dem Übersetzer, seine Verse, die berühmten 17-silbigen, frei von der im Deutschen so häufigen wie widerlichen Sentimentalität zu halten. Kurz, sie sind sachlich, genau und, so weit im Deutschen überhaupt denkbar, 'adäquat'.
'Das Haiku lebt vom Neuen', sagt Kyorai 1697 in einem Brief an Kikaku, aber das Neue ist wie so oft bei langüberlieferten Genera nur überraschende Variante, geistvolle Modifikation, Spiel mit der Vorlage, Anspielung und Replik. Auch davon wird bei Ekkehard May vieles sichtbar. Mag man zuweilen auch versucht sein, eine andere, leicht veränderte Version danebenzustellen, so ist das nicht Kritik, sondern selbst wiederum Replik, gar Huldigung. Sachlich, präzise und gegenständlich sind die knappen Verse hier wie selten bei uns:

'Speicher neben Speicher,
dahinter kreuzen sich die
Wege der Schwalben' (Bonchô)