Die Kelten

Im Vorwort dieser knappen Einführung in wichtige Aspekte keltischer Geschichte und Kultur weist A. Demandt auf seine früheren Begegnungen mit der Keltike hin. Dabei versucht der Althistoriker, 'die historischen, archäologischen und philologischen Aspekte ausgewogen zu berücksichtigen sowie die Wirkungsgeschichte der Kelten zu skizzieren'. Themen aus den Bereichen Herkunft, Geschichte, Staatsform, Kultur, Religion sowie Mythologie der Kelten werden in 18 Kapiteln abgehandelt. Die Darstellung keltischer Völker in der schriftlichen Überlieferung nimmt breiten Raum ein und wird durch zahlreiche Zitate antiker Autoren belegt. Den chronologischen Rahmen bildet die sog. Latènezeit (ca. 450 v.Chr. bis zur Zeitenwende), wenn es scheinbar ins Bild paßt, wird aber auch die Hallstattzeit (ca. 800-450 v.Chr.) herangezogen. Am Ende der knappen Abhandlung werden das irische, und britische Mittelalter sowie die Kelten-Rezeption der Neuzeit skizziert.
In den ersten Kapiteln behandelt der Autor verschiedene Herkunftstheorien sowie die Ausbreitung keltischer Kultur. Die Kelten sind nördlich der Alpen das älteste namentlich bekannte 'Volk', wobei entgegen der Auffassung des Autors die Bedeutung der Namen Kelten bzw. Gallier nicht geklärt ist. Die frühesten Nachrichten über Kelten stammen aus der Zeit um 500 v.Chr.; es sind Schriften griechischer Historiker, die deren damalige Siedlungsgebiete das Voralpenland, den Alpenraum, das Rhônetal und das mittlere Frankreich, beschreiben. Anzumerken ist, daß sich der Autor auf weniger sicheren Boden begibt, wenn er dasTerrain der Geschichtsschreibung verläßt und sich mit Sprachwissenschaft und Archäologie befaßt. So stellt er längst überholte Thesen zu den keltischen Sprachen vor und nennt abwechselnd hallstatt- und latènezeitliche Fundorte 'keltisch', obwohl die Bevölkerung der Hallstattzeit als 'Kelten' anzusprechen, höchst umstritten ist.
In diesen ersten Kapiteln wird die grundsätzliche Problematik dieser Einführung deutlich: Der Kelten-Begriff wird nicht ausreichend diskutiert, sondern steinbruchartig werden Ergebnisse aus den beteiligten Einzelwissenschaften entnommen und dann zu einem scheinbar Ganzen zusammengefügt. Dabei ist es derzeit unmöglich, die Erkenntnisse der Althistoriker, Archäologen und Philologen in Einklang zu bringen, weil der Terminus 'Kelten' letztlich nur ein modernes wissenschaftliches Etikett ist, welches von den antiken Historiographen übernommen wurde. Bis heute sind diese antiken Bezeichnungen mit nationalromantischen Denkmustern überfrachtet, die in völkischen Vorstellungen münden. Vermutlich hat die im Vorwort genannte Verwendung der 'umfassenden Darstellung von Helmut Birkhan, Kelten, 1997' besonders negative Folgen für diese Einführung gehabt, denn Birkhans Werk krankt an dem nationalromantischen Glauben, daß 'die Kelten' 'ein Volk' sind, welches über Zeit und Raum - von Norditalien bis Irland und von der Eisenzeit bis ins Mittelalter - eine kulturelle sowie sozial-institutionelle Identität besessen hat. Somit hätten alle Quellen ungeachtet ihrer Herkunft den gleichen Erklärungswert für 'keltische' Phänomene: Irische Schriftquellen des Frühmittelalters z.B. könnten zur Erhellung der Eisenzeit in Süddeutschland herangezogen werden. Dieser Ansatz ist falsch und methodologisch unwissenschaftlich. Selbstverständlich ist es legitim, auf Analogien zu verweisen und natürlich existieren kulturelle Verbindungen. Diese sind aber kaum zu klären und bedürfen im Einzelfall einer kritischen Überprüfung unter strenger Anwendung wissenschaftlicher Methodik.
Einen Schwerpunkt legt der Autor auf die Darstellung der sog. Keltenzüge nach Westen und Osten. Allerdings wird eher auf die Reaktionen antiker Völker auf die keltischen Expansionen eingegangen, als über die dynamische Kultur und die Hintergründe der keltischen Stämme 'auf Wanderschaft' berichtet. Die dazugehörige Karte (S. 18) ist leider nahezu unbrauchbar: Ohne erläuternde Legende sind anscheinend Sprach- und Verbreitungsgebiete, Wanderbewegungen sowie Raubzüge dargestellt - im Fall von Irisch/Gälisch/Dublinum obendrein mit schlechter Nomenklatur.
Es verwundert kaum, daß beim Thema Religion die historische Überlieferung zu den Druiden als zentraler Aspekt behandelt wird, was insgesamt erfreulich nüchtern und fern aller esoterischer Tendenzen geschieht. Abgerundet wird die Übersicht von einigen archäologischen Belegen, wie gallo-römische Tempelanlagen, Viereckschanzen oder Quellopfern. Im Detail wird auch in diesem Kapitel oft zu optimistisch gearbeitet. So ist zumindest zweifelhaft, ob der Kessel von Gundestrup wirklich keltische Vorstellungen widerspiegelt oder der sog. Frau Hollenstuhl eine 'Erinnerung an Keltenkulte' darstellt.
Das Kapitel Wirtschaft ist sehr anschaulich und ausführlich. Besondere Betonung finden zu Recht die Metallverarbeitung und der Handel z.B. mit Salz. Hier entsteht ein differenziertes Bild, welches sich deutlich vom Klischee der primitiven Ackerbauern mit starkem Hang zum Mystischen abhebt.
Bei der Beschreibung der keltischen Gesellschaft und insbesondere bei der Beurteilung der Stellung von Frauen macht sich der Autor leicht angreifbar, denn er datiert das reiche Frauengrab von Waldalgesheim - immerhin namensgebend für einen latènezeitlichen Kunststil - falsch in die Hallstattzeit. Die oft kolportierte These von der besonderen Position der Frau bei den 'Inselkelten' und den 'mutterrechtlichen Zügen' hätte durch einen kurzen Blick in Fergus Kellys hervorragende Einführung A Guide to early Irish Law (Dublin 1988) vermieden werden können.
Die Kapitel zu den Stämmen und proto-städtischen Anlagen sind gut recherchiert, teilweise aber leider etwas knapp geraten. Das Thema Könige macht dagegen einen uneinheitlichen Eindruck, denn der Autor würfelt verschiedene Volksgruppen und Stämme aus unterschiedlichen Zeiten durcheinander, woraus sich ein verwirrendes Bild ergibt.
Dies wird erneut im Kapitel zu keltischen Mythen deutlich, in welchem dem Leser diverse insulare Literaturen ohne helfende Ordnung oder die notwendige begleitende Kommentierung als buntes Sammelsurium präsentiert werden. Die Ergebnisse der modernen keltologischen Forschung werden völlig außer Acht gelassen.
Bei aller Kritik hebt sich die vorliegende Publikation wohltuend von anderen Einführungen zum Thema Kelten ab, denn Demandt verzichtet völlig auf den ebenso populären wie falschen mystisch-esoterischen Blickwinkel. Nachteilig wirkt sich aus, daß keltische Kultur fast nur durch schriftliche Überlieferung und nicht im gebührenden Maße durch die durchaus zahlreichen archäologischen Zeugnisse vorgestellt wird. Die gleichberechtigte und unkritische Zusammenstellung aller Quellen und Wissenschaften, welche sich unter dem Namen 'keltisch' versammelt haben, entspricht nicht dem Stand der Forschung: 'Die Kelten' sind eben kein ethnisch homogenes 'Volk', sondern stellen ein komplexes soziales, kulturelles, religiöses Phänomen in der frühen europäischen Geschichte dar.
Als Lesergruppe kommen hauptsächlich historisch interessierte Laien sowie Studenten der Alten Geschichte in Frage, denn besonders in seiner komprimierten Zusammenstellung antiker Quellen erwirbt sich das Werk Verdienste.