Das geistige Preußen
Zur Ideengeschichte eines Staates

Diesem Sammelband geht es um die Idee des einstigen preußischen Staates. Von den 14 Beiträgen aus den Jahren 1987-1999 erschienen zehn an verschiedenen Stellen; vier werden erstmals gedruckt. Begonnen wird mit dem Problem der Toleranz bei Friedrich dem Großen. Dieser hat nach 1945 keine besondere Aufmerksamkeit gefunden, auch nicht 1991 bei der Überführung seiner Gebeine von Hechingen nach Sanssouci. Entstehung und Handhabung seines Toleranzgedankens, aber auch dessen Grenzen werden aufgewiesen: Toleranz dient dem Wohl des Landes, wurzelt nicht in Menschenrechten. Der zweite Aufsatz zeichnet die Entwicklung nach, die nach 1806 von den Stein-Hardenbergschen Reformen zum Gesetz über die Provinzialstände von 1823 führte, aber dem Gesamtstaat die Verfassung und Volksvertretung versagte. Damit unterschied Preußen sich von den süddeutschen Staaten; die Heilige Allianz mit Rußland und Österreich, aber auch Widerstände im Inneren verhinderten die Einlösung des königlichen Verfassungsversprechens vom Mai 1815.
Fünf Aufsätze behandeln Friedrich Wilhelm IV. Dieser wollte keine Verfassung auf Papier, sondern gegen die Tendenzen der Zeit die Einigkeit des Herrschers von Gottes Gnaden mit den Ständen seines Volkes und ein gemeinsames Handeln aus christlichem Geist. Keineswegs wollte der König ein Vermittler zwischen Interessengruppen (gemäß den Forderungen B. Constants) sein; er wollte nicht einfach dem Konservativismus Stahls folgen, aber auch nicht der sozial engagierte König Bettina von Arnims sein. Aufgewiesen wird die Identifizierung des Kronprinzen mit der romantischen Geistes- und Gefühlswelt. Ein vom Autor veröffentlichtes Romanfragment Friedrich Wilhelms - Die Königin von Borneo - zeigt, wie der preußische Thronfolger 1814 in Paris durch eine Abgesandte des Königshofes von Borneo als Zeuge für die Taufe des dortigen Königs gewonnen wird; ein Medaillon der Königstochter überzeugt ihn, ein Riesenvogel trägt ihn über die Länder zur Insel und läßt ihn in der Königstochter seine Beatrice erkennen. Friedrich Wilhelm baute Potsdam aus; das war die Stätte seiner Jugend, dann der Zufluchtsort vor dem aufrührerischen Berlin, dazu der Ort der Verehrung Friedrichs II., den er anders als andere Konservative Friedrich den Großen nannte. Das Bild von Franz Krüger Friedrich Wilhelm IV. in seinem Arbeitszimmer soll den Herrscher sowohl als Privatmann und Bürger wie als König von Gottes Gnaden in neugotischem Ambiente vorstellen.
Eine weitere Aufsatzreihe führt von der Mittelalterrezeption der Hohenzollern zu Bismarck und zum politischen Denken Moltkes. Wie standen der Romantiker auf dem Thron und der Realpolitiker zueinander? Die Enttäuschung Bismarcks über das Versagen des Monarchen in der Revolution von 1848 hielt beide fern voneinander, doch wurzelte beider Überzeugung in der 'christlich-germanischen Staatslehre'. Nach Bismarcks Entlassung 1890 brachte die Abkehr der politisch-militärischen Führung vom Gedanken des Gleichgewichts in Europa einen fundamentalen Bruch. Das alte preußische Gedankengut wurde durch den Sozialdarwinismus und auch durch einen Kult des Krieges unterhöhlt; trotzdem blieb eine Balance von Politik und Moral. Ein wichtiger Aufsatz zeigt, wie der jüdische Preuße Hans-Joachim Schoeps mit seinem Monarchismus von der 68er Bewegung bekämpft und von der Universität Erlangen im Stich gelassen wurde. Abschließend wird gezeigt, wie die Auflösung Preußens als Träger des Militarismus und der Reaktion 1947 durch die Siegermächte nur der Fußtritt war, den siegreiche Esel einem längst toten Löwen gaben (wie Golo Mann formulierte). Die Bundesrepublik war preußenfern; in der sowjetischen Zone wurden in Berlin und Potsdam die Residenzen der Preußen gesprengt. Das 'Preußen-Jahr' 1981 brachte eine gewisse Wende. Als geistiges Erbe Preußens bleiben die Asylpraxis, die Bindung der Obrigkeit an das Recht, das soziale Engagement nicht erst seit Bismarck, die Kultur- und Bildungspolitik. Gerade zum letzten Punkt vermißt man den Beitrag Hegels und seiner Schüler für die Ausstattung Preußens und vor allem Berlins mit einer einmaligen Museums- und Forschungslandschaft.