F. W. J. Schelling: Über das Wesen der menschlichen Freiheit ...‘

Christian Hermann Weiße entdeckte in ihr den 'Lebenspuls unsers gegenwärtigen philosophischen Denkens', Immanuel Hermann Fichte 'eine Philosophie […], welche über den wissenschaftlichen Kulminationspunkt […] Hegels […] hinausreicht'. Die begeisterte Rede dieser Vordenker des spekulativen Theismus galt der zuerst 1809 veröffentlichten Freiheitsschrift Schellings, deren Neuauflage 1834 als Reaktion auf die ursprünglich von ihr ausgehende, nun auch wirklich virulent gewordene Thematisierung der Freiheit und Persönlichkeit erschien. Diese richtete sich vorwiegend gegen die absolute Metaphysik Hegels, die für ihre Subjektivitätstheorie die Vollendungsgestalt der abendländischen Philosophie beanspruchte, und führte letzten Endes in eine neue Ära philosophischen Denkens jenseits des absoluten Wissens ein. Ein Jahrhundert später wurden die zeitgenössischen Auffassungen von der enormen Bedeutung der Freiheitsschrift durch Martin Heidegger bestätigt: Ihm zufolge hat Schelling damit eine Abhandlung vorgelegt, 'die Hegels ‚Logik‘ schon vor ihrem Erscheinen erschüttert'. In Frage gestellt wird die Hegelsche Wissenschaft des sich denkenden Denkens besonders durch Schellings Konzeption des Ungrundes, nämlich der unvordenklichen Indifferenz, aus der die sich freiheitlich bestimmende, d. h. lebendige Zweiheit von Grund und Existenz und damit Dunkel und Licht, Sehnsucht und Verstand, schließlich Böse und Gut ebenfalls freiheitlich hervorbricht. Jochem Hennigfelds zugleich referierende und kommentierende Darstellung der sich an der Theodizeeproblematik orientierenden Abhandlung Schellings betritt wohl kein interpretatorisches Neuland, das eine bisher unbekannte Perspektive auf diese Station in dessen Denkentwicklung eröffnen würde. Ihr Verdienst liegt vielmehr in der Bestätigung der von der neueren Forschung herausgestellten großen Kontinuität, welche die ihrem eigenen Programm nach fragmentarisch gebliebene Freiheitsschrift sowohl mit der ihr vorangehenden Identitätsphilosophie als auch mit den ihr nachfolgenden Weltalter- und Offenbarungs-philosophien verbindet, und dies im Versuch, die Vielfalt des nichtdenkenden sowie denkenden Lebens einsichtig werden zu lassen. Denn 'über dem Geist', aber mitten im Leben liegt, so Schelling, 'der anfängliche Ungrund, der die allgemeine, gegen alles gleiche und doch von nichts ergriffene Einheit, das von allem freie und doch alles durchwirkende Wohlthun, mit Einem Wort die Liebe', ist.